Die Zeit ist einsam

Die Zeit ist einsam

telefon eurovisionszentrale Flickr Atila KefeliHeute möchte ich mich mal über einen Zustand auslassen, den der von mir gar nicht geschätzte Peter Hahne treffsicher als Saure-Gurkenzeit bezeichnen würde. Hier natürlich aus eurovisionärer Sicht: Zeitlich angesiedelt in den Monaten Juni bis September, beginnt sie zumeist mit der klassischen posteurovisionären Depression, die alsbald in das Stadium sinnentleerter Beschäftigung mit Statistiken und Ranglisten übergeht, um schließlich in einer endlos lang erscheinenden Phase von eurovisionärem Nichtstun zu münden.

Während ich dieses Problem im letzten Jahr noch ganz lakonisch angegangen war, habe ich mich diesen Sommer anfänglich bemüht, die Pause mit nichtssagenden Posts zu überbrücken, wohl wissend, dass deren Wahrheitsgehalt gegen Null tendiert und mir unter normalen Umständen keine Silbe wert gewesen wäre. Zugleich erinnerte ich mich an die angeblich so gute alte Eurovisionszeit, als die damals verfügbaren Medien noch ohne ihren späteren Shootingstar Internet auskommen mussten und niemals oben erwähnte PR-gesteuerte Belanglosigkeiten verbreitet hätten. Nein, sie verbreiteten gar nichts, dementsprechend dauerte das im ersten Absatz beschriebene Martyrium weitaus länger als nur vier Monate. Wenn sich heutzutage also Countdownzähler der für den 18.05.2013 angesetzten Edition in Malmö nähern, so kannten wir damals – sagen wir mal 1977 – das Datum des Feiertags in der Regel erst zwei bis drei Wochen vor dem eigentlichen Ereignis. Über eine Liste der Interpreten verfügten nur die Glücklichen, deren elterlicher Haushalt den Gong oder die Hörzu abonniert hatte, den meisten anderen TV-Magazinen war die Veranstaltung, die im kultigsten aller Jahrzehnte noch nicht kultig war, zu piefig. Häufig kritisierten die Redakteure den damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson gelabelten Wettbewerb bereits im Vorfeld mit ätzenden Verrissen, einzig die Bravo widmete bis Anfang der Achtziger dem Teilnehmerfeld ein bis zwei Seiten.

Heutzutage unvorstellbar, war es zu jener Zeit nahezu unmöglich, sich die Festivalbeiträge im Vorfeld schön zu hören, denn bis auf die nationale Einsendung lauschte man diesen erstmals am Abend selbst. Denn ähnlich wie die schreibende Presse waren auch die Hörfunkredakteure kaum an einer Bewerbung des Contests interessiert. So ist lediglich der WDR2-Popreport von Günter Krenz in Erinnerung geblieben, der mir bis Anfang der 90er Jahre – häufig am Wettbewerbstag selbst – die Songs des Jahrgangs zu Gehör brachte. Er kümmerte sich in der Folgewoche dann auch noch einmal um die Nachlese – und das war’s dann bis zum nächsten Jahr.

Zudem stellte ich bei der Durchsicht meines sozialen Umfeldes regelmäßig fest, dass ich offensichtlich der einzige war, der diesen Umstand bedauerte, so dass ich fortwährend mit dem Eindruck, mich über ein überflüssiges Schlagertralala zu freuen, leben musste. Aber weit gefehlt – Mitte der 90er entdeckte ich Eurovisions-Fanclubs und mit ihnen Menschen, die nicht nur mein Hobby, sondern beispielsweise uns-in-kollektive-Verzückung-versetzende Preview-Videocassetten mit mir teilten. Aus heutiger Sicht trugen wir Fans wohl in nicht unerheblichem Maß dazu bei, die damals noch erbärmlich dahindümpelnde, stets auf einer grünen Insel angesiedelte Eurovision wieder flott zu machen. Und in den folgenden 15 Jahren haben das Medium Internet, insbesondere dessen soziale Netzwerke, uns mit sämtlichen zwischen Helsinki und Lissabon als Stream verfügbaren Vor-Vor-Vor-Entscheidungsshows, mit jedwedem Gerücht und natürlich mit allen Skandalen überfüttert.

Fotos: Flickr / Atila Kelefi

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