Wer macht das Rennen in Hannover?

Wer macht das Rennen in Hannover?

USFM GER 2013leer
Da fliegt dir glatt das Blech weg – LaBrassBanda

„Wir ziehn uns aus und spieln mit unsren Sachen….“ Nach diesem legendären Motto, ähem … mit dem Song „Nackert“ wollen LaBrassBanda Europa so richtig einen blasen. Vom preußischen Mainstream bislang relativ unbeachtet, sind die Bajuwaren dahoam eine feste Größe und begeistern mit treibender Blechmusik, die erst bei Live-Konzerten so richtig an Fahrt aufnimmt. Ist es nun Jazz, Funk, Ska oder eben Blosmusi? Egal, der Rhythmus stimmt, selbst wenn den Text außerhalb Bayerns kaum jemand versteht. Tja, und dann noch diese eurovisionäre Reminiszenz der stets barfuß auftretenden Bläsercombo an Sandy Shaw!

Was also nur im ersten Moment scheinbar gar nicht zusammenpasst – Lederhosen und Eurovision – könnte am 14. Mai das immer noch existierende Deutschlandbild aufs Wunderbarste karikieren. Und das ganz ohne Sauerkraut. Dass wir da nicht schon früher drauf gekommen sind!

Himmel Herrgott Sakra! – Die Priester

Oh Gottogottogott! Im Namen des Herrn wollen drei wahrhaftige Gottesmänner, die seit 2011 sogenannte christliche Popmusik veröffentlichen, den Sündenpfuhl Eurovision unterwandern und alle homosexuellen Seelen auf den rechten Weg bringen zuerst in Hannover und dann den Kreuzzug nach Malmö antreten. Gemeinsam mit Mojca Erdmann, einer – schätzungsweise jungfräulichen – Opernsängerin aus Hamburg, stimmen die wohl doch nicht so zölibatären Priester den jahrhundertealten Mariengesang „Ave Maris Stella“ an. Oder halt eine davon inspirierte Neukomposition, denn so ganz passt das ja nicht zum EBU-Regularium „Veröffentlichungstermin nach dem 01.09.2012“. Und über Kutte und Kruzifix ist spätestens seit der Heilsarmee-Causa auch noch nicht das letzte Worte gesprochen. Nach den russischen Großmüttern nun also der nächste Teil der eurovisionären Freakshow? Bitte, lasst diesen Kelch an uns vorüber ziehen…

Findet Schlager toll – Betty Dittrich

Ganz in der eurovisionären Tradition von Siw Malmkvist, Gitte oder Wencke Myhre will Betty Dittrich nach Malmö reisen. Von wo sie genau genommen schon herkommt, denn ihr Geburtsort liegt in der Nähe des diesjährigen Austragungsortes. Doch was auf den ersten Blick wie ein müder Werbegag der Plattenfirma erscheint, ist überhaupt nicht so weit hergeholt: Bereits in den 60er Jahren hat sich Deutschland häufig skandinavischer Sangeskunst bedient und das gar nicht mal erfolglos!

Mit „Lalala“ zitiert das mittlerweile in Berlin lebende Hippiegirlie einen Eurovisionssiegertitel aus längst vergangenen Tagen und spielt gekonnt mit allen gängigen Schlagerklischees. Textbeispiel gefällig? „…Franz er war, ein Junge mit langem Haar, genauso wie Ringo Starr, doch wo ist er hin…“. Das ist eine Verbeugung vor dem guten alten Schlager, wie sie unverkrampfter, aber auch respektvoller kaum sein kann. Außerdem hat uns Selbstironie auf internationaler Bühne noch nie geschadet und daher könnte sich das so anachronistisch daherkommende Fräulein Dittrich zu einem ganz großen Geheimtipp nicht nur bei der Vorentscheidung in Hannover mausern. Wun-der-bar!

German Betroffenheit – Söhne Mannheims

Ohne ihren Guru Xavier Naidoo und von 14 auf sechs Bandmitglieder eingedampft stellen sich die Söhne Mannheims der innerdeutschen Konkurrenz. „Endlich!“ sagen die einen, die seit Jahren nach den großen nationalen Namen beim Songfestival rufen. Der eurovisionaer fragt sich eher „…muss das sein?“ Pseudosozialkritik und religiöse Botschaften sind bei der Eurovision nicht wirklich gut aufgehoben, sofern sie denn überhaupt verstanden werden. Und ob sich Deutschland auf europäischer Ebene unbedingt als das gute Gewissen aufspielen sollte, sei nun auch dahingestellt…

Schätzungsweise deshalb verpacken die Söhne das Ganze mit einem englischen Label „One Love“ und durchsetzen den Song mit ihren hinlänglich bekannten missionarischen Floskeln auf deutsch. Das Ergebnis hört sich unendlich gequält an, allerdings ist zu befürchten, dass der hohe Bekanntheitsgrad der Band vom eigentlichen Produkt, dem Lied, ablenken wird. Schade, denn was in unseren Landen – warum auch immer – funktioniert, kann auf internationaler Bühne ganz gewaltig in die Hose gehen.

Wau und tschau Nicole! – Blitzkids Mvt.

Der Vorentscheidungsbeitrag „Heart on the Line“ von Blitzkids mvt. ist einfach nur großartig! Damit können wir getrost die letzten Reste des von Lena Meyer-Landrut eventuell nicht ganz ausgeräumten Nicole-Traumas endgültig auf den Mond schießen und mit stolzer Brust nach Malmö reisen. Zum Teufel mit dem Mello! Käme doch nur die Hälfte der übrigen Beiträge für Hannover 2013 ähnlich vielversprechend und unabgestanden um die Ecke, dann stünden wir mit einem zeitgemässen, deutschen Eesti Laul den Balten in nichts mehr nach.

Ob jedoch Blitzkids mvt. die deutsche Antwort auf Lady Gaga sind, wie so manche PR-Texte behaupten, sei wohl doch dahingestellt. Immerhin entstammt der Name des Künstlerkollektivs der Anfang der 80er-Jahre in Großbritannien sehr populären New-Romantic-Bewegung und deren Vorliebe für einen Club called „Blitz“. Na, das sind zumindest mal ganz neue Vokabeln für eine Eurovisionsbiografie!

Gute Kontakte – Finn Martin

Nun ja, einen Kommunikationsanbieter als Sponsor zu haben, der den potentiellen Eurovisionsbeitrag gleich mal in der firmeneigenen Media-Kampagne platziert, kann sicher nicht schaden. Mit der entsprechenden Dauerberieselung werden dann am  14. Februar alle werberelevanten Zielgruppen Finn Martins Song nach den ersten zwei Takten mitsummen können und – so ist ja wohl das Kalkül – gleich zum Handy greifen und für SMS-Umsätze sorgen. Win-Win nennt man das halt, wenn sich alle die Hände reiben.

Ähnlich gut berechnet ist der Wettbewerbsbeitrag „Change“ an sich, der sehr gefällig daherkommt und auch nicht vor einem Mädchenchor gegen Ende der 3-Minutenfrist zurückschreckt. Das ist dem Hausblogger zu dicke, wird aber in Hannover sicherlich fett abräumen. Nur das Image des verträumten Weltbummlers – Zitat PR-Bio: „Finn atmet voller Neugier die kleinen und großen Wunder des Lebens ein und findet so ganz nebenbei die Inspiration für seine Musik“ – nimmt ihm bei so viel Geschäftstüchtigkeit dann wohl keiner mehr ab…

Lockerleicht – Mobilée

Eine Prise Folk, etwas von dem Meyer-Landrut-Gewürz, eine ordentliche Portion Radiopop, alles mit guter Laune vermengt – fertig ist der Beitrag der Duisburger Band Mobilée. Und da viele Köche Produzenten erfahrungsgemäß den Brei verderben, kümmert sich einzig Olaf Opal, der uns bereits Gruppen wie Juli und die Sportfreunde Stiller schmackhaft machte, um die fröhlichen Ruhries. Und für deren karrierefördernde politische Korrektheit sorgen lustige Pussy-Riot-Strumpfmasken wie zum Beispiel beim Fernsehgarten-Auftritt im letzten Sommer!

Entsprechend unaufgeregt und musikalischen Konventionen angepasst ist der Song „Little Sister“, der in Malmö nicht weiter auffallen, aber auch niemandem wehtun dürfte. Und mit dieser Strategie haben wir uns ja schon letztes Jahr in Baku durchgemogelt einen ordentlichen Mittelfeldplatz ersungen. Gewinnen wäre eh zu teuer…

Sing mit mir ein kleines Lied – Mia Diekow

Die richtige Mia wäre dem eurovisionaer lieber gewesen, aber die wollte wohl nicht (mehr)….. Statt dessen kriegen wir nun Mia Diekow, die vom NDR Mitte Dezember als letzte Teilnehmerin der Finalrunde bekannt gegeben wurde, was vermuten lässt, dass sie die Notlösung für einen abgesprungenen größeren Namen war…

Nun gut – dafür kann sie nix und als eine der wenigen versucht sie den Sprung ins eurovisionäre Becken immerhin in ihrer Muttersprache. Sie teilt mit uns ihr „Lieblingslied“, das zwar einen ganz spannenden Rhythmus, allerdings keine rechte Hook hat. Und hätten wir nicht bereits Lena Meyer-Landrut lieben gelernt, dann hätte Mia D. vielleicht eine Chance gehabt, aber so entlockt sie uns leider nicht mehr als ein NETT… (und daran ändern auch die putzigen Bastelanleitungen auf ihrer Homepage rein gar nichts!)

Oooch nee – Nica & Joe

Unsägliches Operngeknödel und dazu ein celinesques Gezwitscher – das waren Nica und Joe bei X-Factor 2011 und das sind sie auch heute noch. Fans nennen das Genre Popera, jedoch macht dieser zweideutige Name das Ganze auch nicht besser.

Nun wollen sie mit jener fatalen Kombination also auch noch zur Eurovision. Allerdings, auf internationaler Ebene ist ein gewisses Pavarotti-Feeling noch nie besonders gut angekommen. „Elevated“ ist gepflegte Langeweile und könnte im Grunde genommen auch der Siegelschen Flopschmiede entstammen. Unter den bisherig bekannten, in der Summe weitaus mehr als durchschnittlichen Vorentscheidungsbeiträgen für Hannover ist der Song allenfalls mittelmäßig. Bleibt zu hoffen, dass die beiden am 14. Februar lediglich den Priester- und Söhnen-Fans Stimmen abluchsen werden.

Mehr als gerecht – Ben Ivory

Schade, fast könnte mensch meinen, der eurovisionäre Jahrgang 2013 verkomme aus deutscher Sicht zu einer Zeitreise in die Achtziger… Neben den Blitzkids ist auch Ben Ivory’s „The righteous Ones“ mit synthielastigen Klängen am Start. Für die heimischen Vorentscheidungsohren handelt es sich dabei wohl kaum um ernsthaftes Siegermaterial, aber nach den Raab- und Siegeljahren ist es definitiv eine musikalische Wohltat. Ivory, der übrigens von der Financial Times Deutschland zum “Best Music Fashion Act“ gekürt wurde, bringt parallel zum Vorentscheid seine CD „Neon Cathedral“ in die Läden. Fazit: nicht ganz so massenkompatibel wie  „Heart on the Line“, dennoch ein absolut hörenswerter Song für Malmö Hannover!

Made in Austria – Saint Lu

Noch mehr Eighties-Pop wäre wohl zu viel des Guten gewesen!  Zwar lebt auch die Österreicherin Saint Lu – zumindest musikalisch – nicht in der Jetztzeit, verschreibt sich aber eher den Swinging Sixties als den coolen Achtzigern. Wer also Amy liebte, wird die Heilige Lu, die vor kurzum mit Max Mutzke durch die Lande tourte, zumindest mögen. „Craving“ schleicht sich dennoch nicht auf Anhieb in die Gehörgänge. 60 Sekunden braucht mensch schon, bis er sich an die einzigartige Stimme der Luise Gruber gewöhnt hat. Doch dann zündet der Song ganz gewaltig. Ob er jedoch auf der – dieses Jahr nicht sooo großen – Eurovisionsbühne richtig aufgehoben ist? Egal, Futter für die dieses Jahr ebenfalls beteiligten „jungen“ Radiowellen ist er allemal!

Euphorisch wie Titan – Cascada

Ja ja, endlich ein international erfolgreicher Act…. Während die eurovisionären Fanboys in Verzückung geraten und das Netz mit schlecht gemachten Cascada-YOUTUBE-Clips überschwemmen, will nun auch der eurovisionaer keinen Bogen mehr um einen der Favoriten des diesjährigen Vorentscheids machen: Heute veröffentlichte die Retortentruppe Cascada den Beitrag „Glorious“. Reimt sich zwar nicht auf „Euphoria“, ansonsten aber haben die Macher bei der göttlichen Loreen sehr genau hingehört. Ehrlich gesagt, hätte es schlimmer kommen können, aber originell ist das nicht und muss daher nach Gusto des Oberlehrers Hausbloggers nicht nach Schweden geschickt werden.

Foto: NDR

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