Kann ein Lied eine Brücke sein?!
Category : Artikel 2014
leer
Der Vorsitzende der Eurovision Reference Group bei der EBU, Frank-Dieter Freiling, hat dieser Tage Jan Feddersen ein Interview gegeben, das unfreiwillig sehr präzise das Dilemma umschreibt, in dem der ESC und seine Verantwortlichen derzeit stecken. Freiling vertritt die Ansicht, dass der Song Contest – gerade vor dem Hintergrund der (politischen) Diskussion über Austragungsorte in Osteuropa und die damit verbundene (Un-)sicherheit der Teilnehmer und Fans – ein Event sei, bei dem das Gemeinsame und nicht das Trennende im Mittelpunkt stehe. Und für die kommende Ausgabe in Kopenhagen 2014 führt er bedeutungsschwanger gar den 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs als Grund an, um wirklich alle unter das Dach Eurovision zu ziehen.
Nun könnte man zwar zuallererst mal überlegen, ob nicht besser das Ende eines Krieges statt dessen Ausbruch „gefeiert“ werden sollte, aber lassen wir eine solch abschweifende Fragestellung in diesem Kontext beiseite… Fakt ist, dass der in den Nullern erfolgsverwöhnten EBU, als es immer neue eurovisionäre Rekorde zu vermelden gab, mittlerweile die Teilnehmer weglaufen. Einige organisieren bereits muntere Gegenveranstaltungen unter dem Kürzel „Türkvizyon“, anderen könnte Ähnliches in den Sinn kommen, wenn das (legitime!) Menschenrechtslamento der Westeuropäer anhält… vielleicht eine modernisierte „Intervision“?
Und schon beginnt der Spagat der hohen Herren in Genf: Natürlich finden auch sie Menschenrechtsverletzungen doof, wollen sich aber mit ihrer kleinen europäischen Gesangshitparade nicht in politische Angelegenheiten einmischen. Prompt pochen sie sowohl auf die „fernsehlogistischen Umstände“, als auch auf die These, der ESC sei „mehr als nur die TV-Übertragungen“. Gemäß dieser Argumentationskette könnte die EBU-Zentrale auch in Eriwan liegen. Doch Vorsicht: Wenn sie sich so gar nicht festlegen möchte und Diplomatie übergroß schreibt, kann es ihr passieren, dass zum Schluss sie keiner mehr so recht mag. Die westlichen Länder, weil sie eine klare Ansage vermissen, und die Osteuropäer, weil sie sich bevormundet fühlen.
Allerdings scheint mir die Unentschiedenheit der EBU nicht das einzige Problem der Eurovision zu sein. Über die Jahre hat sie sich zu sehr gehen lassen. Sicher, kleinere kosmetische Prozeduren wie die Jurywertung oder eine gesetzte Startreihenfolge hat sie mit sich machen lassen. Und doch das Wesentliche aus dem Blick verloren! Beispiele gefällig? Die Sieger der letzten beiden Jahre kannten wir z.B. aufgrund der Wettquoten schon im März. Das Voting, Herzstück des „Kults“ – wie Peter Urban sagen würde – ist mit fast 40 Wertungen zäh und schon nach wenigen Minuten vorhersehbar. Das Design der Shows (früher sagte man wohl Bühnenbild) austauschbar und langweilig – lediglich der Malmöer Catwalk sorgte hier für etwas Abwechslung. Von einigen Beiträgen, die in ihrer Einfallslosigkeit auch vor 40 Jahren hätten kompetieren können, mal ganz zu schweigen, aber dafür kann die Eurovisionszentrale nix… Die sinkendenen, aber schön gerechneten Einschaltquoten der letzten drei Jahre bezeugen jedenfalls, dass das Zuschauerinteresse nachlässt.
Die Dänen wollen nun eine heruntergekommene Maschinehalle besenrein machen und so der 2014-er Ausgabe ein neues Gesicht verleihen. Es scheint mir ein richtiger Ansatz zu sein, denn Hochglanz ist in Europa schon lange nicht mehr angesagt. Nun gilt es also, an der Show zu schrauben und sie für die Zuseher spannender zu gestalten. Wie wär’s mit einem Starterfeld von maximal 24 Ländern? Müssen wirklich alle am Finalabend ihren Senf ihre Punkte dazugeben? Reichen nicht auch wieder 24 Wertungen inkl. eines Rest-of-Europe-Votings? Kappt die Jurys und begrenzt die Anrufe auf höchstens drei je Beitrag! Ermuntert die nationalen Sender zu mehr Risikobereitschaft bei der Vorauswahl – lieber Winny Puuh statt Birgit Oigemeel!
Es könnte sein, dass so die berühmten zwei Fliegen zeitgleich ihr Leben lassen müssten, weil nach den entsprechenden Korrekturen möglicherweise wieder mehr rein in die Eurovision denn raus wollen. Und wer weiß, vielleicht schalten dann auch vier russische Teenager und zwei finnische Studenten und nicht nur die bosnische Hausfrau und der spanische Postbote ein… Wäre es denn ein Traum, wenn es sich ganz Europa unabhängig irgendwelcher Jahrestage einfach aus Spaß an der Freud an einem Abend des Jahres vor dem Fernseher gemütlich machen würde und so alle eurovisionären Probleme gelöst wären…?