Monat: Juni 2014

Was darf Johnny Depp, was Conchita Wurst nicht darf?

…fragt sich dieser Tage das Fräulein Sichtermann. Nicht schon wieder in der eurovisionaeren Küche, sondern am Rande eines eher eintönigen WM-Spiels – dort genehmigten sich die beiden beim mittlerweile so populären Rudelgucken unter freiem Himmel einige Bierchen – und plapperten sich in kurzer Zeit vom Pilgerfahren über den Schlagerzahnarzt hin zur wundervollen Conchita. Der höchsten Song-Contest-Weihe zum Trotz schlägt sich diese nämlich weiterhin mit der vordergründig aufrichtigen, letztlich jedoch hinterfotzigen Volksmeinung tapfer und niemals müde werdend herum. Grund genug also, das Fräulein Sichtermann um Hilfe einen Gastbeitrag zu diesem Thema bitten, für den sich der Chef sehr herzlich bedanken möchte. Und alle anderen eurovisionaere hoffentlich auch!

conchita www.julianlaidig.com

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Was darf Johnny Depp, was Conchita Wurst nicht darf?

Als Johnny Depp seine Cross-Gender-Performance als Captain Jack Sparrow in Fluch der Karibik ablieferte, war nicht nur das Feuilleton begeistert. Auch die Besucherzahlen an der Kinokasse gaben ihm Recht. Jack Sparrow, Verzeihung, Captain Jack Sparrow, kultivierte den Machismo des von seiner Selbstverliebtheit besessenen Egomanen mit einer androgynen Attitüde, die nicht selten in Selbstironie umschlug und gerade deshalb die Karikatur und die Rollenklischees vermied.

Ein anderes Beispiel gefällig? David Beckham war einst ein begabter Fußballer, von dem nicht weiter zu handeln wäre, hätte er nicht irgendwann Posh Spice kennen gelernt, die sich fortan als Victoria Beckham neu erfinden sollte. Sie lehrte ihn die Kunst der Mode, die alles, was bis dahin wichtig war, zumindest im Leben eines Fußballers, in den Schatten stellen sollte. Mit ihm war die Metrosexualität geboren, die als neuer Hype das noch junge Millenium beflügeln sollte. Wen kümmerte es, dass David Beckham nicht länger zum Spielgeschehen beitragen konnte, solange nicht ein fähiger Stylist seine Haare in jeder Pause wieder in Form bringen sollte. Schwitzen, keulen, wie weiland Hans-Peter Briegel mit seiner Prolo-Dauerwelle, war nicht sein Ding und so erfreut sich die Gelfrisur noch heute in der Amateurliga ebenso große Beliebtheit wie das Haarband bei den Fußballern, die die gepflegte Matte bevorzugen.

Spätestens seit die Modemacher androgyne Männermodels auf den Laufsteg schicken, um, ja, Frauenkleider zu präsentieren, sollte klar geworden sein, dass sich einiges getan hat: Gender is an illusion. Nun ja, nicht ganz: Es betrifft wohl nur die Ebene der optischen Oberflächen, dahinter, noch immer, waschechte Homophobie. Das Fräulein, ganz arglos zum ersten Mal beim Eurovisionsfinale mit Conchita Wurst konfrontiert, fragt sich noch immer, was genau den Sturm der Entrüstung um diesen Travestiekünstler ausgelöst haben mag, der mit Entgleisungen einher ging, die zu beleidigend sind, um hier wiederholt zu werden.

Das Spiel des Androgynen beruht stets auf dem Schein. Und solange alles ein Spiel bleibt, eine Rolle in einem Film, ein Habitus in einem Trend, applaudiert man gern. Was für eine Bigotterie. Wenn sich jemand dem Spiel der Maskeraden verweigert, weil er die eindeutige Geschlechterzuschreibung selbst in der Illusion durchbricht, das Männliche im Weiblichen und das Weibliche im Männlichen offen zeigt, dann kehrt er die Regeln des Spiels nicht nur um. Er stellt das Spiel selbst in Frage. Genau das scheint Conchita Wurst so unbehaglich zu machen. Hier nimmt sich jemand das Recht, das Konzept des Transgender nicht als Attitüde, sondern als Leben zu leben und dessen Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Der Österreicher, der Wiener zumal, könnte einmal an Sigmund Freud denken, der schon wusste: Das Gegenteil von Spiel ist nicht Ernst, sondern Wirklichkeit. Und jeder, der mit dem Spiel der Figur und der Wirklichkeit des Künstlers nicht umgehen kann, ist eine verdammt armselige und ängstliche Wurst.

(Das Fräulein Sichtermann sieht fern und denkt hier regelmäßig über die Naturgesetze im Kosmos der Seifenoper nach.)

Foto: julianlaidig.com

Eurovision Song Contest in der Stadthalle…

Stadthalle… hört sich komisch an, könnte aber wahr werden, denn der ORF hat am Wochenende den Bewerberkreis um den Austragungsort des 60. Song Contests auf drei Städte dezimiert. Noch im Rennen sind das Olympiazentrum in Innsbruck, sowie zwei Stadthallen, eine in Graz und eine in Wien. Die österreichische Kaiserin höchstpersönlich, Conchita I, wünscht sich die Party direkt vor der Haustür, also in Wien, wofür auch die entsprechende Infrastruktur (Flughafen, ÖPNV, Hotelbettenkapazität) spricht. Allerdings sind seit 2011, als Düsseldorf das Rennen gegen Hamburg und Berlin machte, Überraschungen niemals so ganz ausgeschlossen.

Irgendwann im Juli soll die Entscheidung getroffen werden, dann also dürfte nicht nur klarer sein, wo, sondern auch wann überhaupt das große Finale ausgetragen wird, denn noch bewegt sich der ORF recht schwammig in einem Zeitfenster vom 09. bis zum 30.05.2015. Und da gerade alle Welt kicktippt, mutmaße ich mal, es wird der 23. in Wien sein.