Einmal ist keinmal
Category : Artikel 2016
Groß war die Überraschung ja nun nicht gerade, als die EBU heute Nacht vermeldete, dass Australien auch am Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm teilnehmen darf. Bereits vor einer Woche hatte EBU-Supervisor Jon Ola Sand bei einem Treffen der Reference Group eher beiläufig die ominöse „41“ als Teilnehmerquote ins Spiel gebracht. Das wiederum sollte die ESC-Fangemeinde in den nachfolgenden Tagen schier um den Verstand bringen, spekulierte sie doch fortan gleichermaßen munter und sehnsüchtig eine Bestätigung Kroatiens, Luxemburgs oder Bosnien-Herzegowinas herbei. Ganz Wagemutige hielten es gar für möglich, dass der Libanon plötzlich Lust am europäischen Wettsingen entwickelt habe (nun ja, er hat ja auch keine anderen Probleme…).
Den Realisten aber war längst klar, dass die angeblich einmalige Einladung der Aussies zum Wiener Wettbewerb 2015 beileibe keine Ausnahme bleiben sollte – jüngstes Indiz: deren Anmeldung zum Juniorvision Song Contest vor einigen Wochen. Und nun? Wie schon Anfang des Jahres tobt ein lauter Aufschrei durch die Sozialen Netzwerke, denn der eurovisionäre Kosmos ist manchmal doch nicht so großherzig wie die echte Welt dieser Tage, wo alle Frankreich, zumindest aber Paris sein wollen. Erneut ist da zu lesen, dass das Land Down Under ganz einfach nicht zu Europa gehöre und deshalb gefälligst auch bei sich da unten singen solle. Alle Gegenargumente, von wegen der gemeinsamen kulturellen Verwurzelung und der abgöttischen Liebe der Australier zum ESC – uns doch egal! Stattdessen schallt der Ruf nach einer kontinentalen Gesangsfestung durchs Netz, damit der Wettbewerb, dem ach so gerne eine grenzenlose Toleranz attestiert wird, auf immer und ewig unter sich bleiben dürfe.
Nun wissen wir, das darf er 2016 gleichfalls nicht. Und vorerst ist das auch gut so, meint der eurovisionaer, denn der fünfte Kontinent ist grundsätzlich eine Bereicherung für einen zuletzt zunehmend inzestuösen ESC, noch dazu nimmt er keinem der Urahnen einen Startplatz weg. Schließlich werden die hingebungsvollen Aussies dieses Mal (anders als noch in Wien) keine Freikarte fürs Finale bekommen, sondern wie (fast) alle anderen erst einmal ein Semi überstehen müssen. Außerdem: Austragen dürften sie im Fall eines Sieges wegen des unvorteilhaften Zeitzonendings auch nicht, sondern müssten sich einen europäischen Ko-Produzenten suchen. Also alles tacko, oder?
Meh, denn Blogger ist trotz der frohen Neuigkeiten ebenfalls im Meckermodus. Ihn nervt das Gehampel der EBU, die auch jetzt wieder behauptet, es sei noch nicht sicher, ob die erneute Teilnahme Australiens eine Ausnahmeregelung oder eben eine langfristige Entscheidung sei (was sie jedoch unter uns ESC-Maniacos gesprochen seit heute zweifelsfrei ist). Abermals wünscht sich der geneigte Fan von seinen Genfer Funktionären nur eins: Konsequenz und Transparenz. Dann wüsste er nämlich auch, was er von diesem Sandschen Zitat halten soll, das wie das Orakel von Delphi anmutet und zeitgleich, nur einige Absätze später per offizieller Pressemitteilung ausgesendet wurde:
„We strongly believe the Eurovision Song Contest has the potential to evolve organically into a truly global event. Australia’s continued participation is an exciting step in that direction.“
Geht es also gar nicht um besagte freundschaftliche und kulturelle Verbundenheit, sondern um Kalkül auf dem Weg zu einer Art Worldvision? Die wiederum im Rahmen einer ESC-Globalisierung die Chance auf bislang ungeahnte neue Vermarktungsplattformen und – in deren Folge – stattliche Gewinne böte? In der Tat wäre dann der Schritt zur Teilnahme Chinas, Japans und der USA ein kleiner. Und der vordergründige Hinweis auf gemeinsame Wurzeln schnell als pure Profitgier entlarvt. Doch naiv, wie der eurovisionaer nun einmal ist, hofft er lieber, dass der umtriebige Ola im stillen Kämmerchen einfach nur fleißig an einem weiteren Wettbewerb bastelt, ohne uns das über die langen Jahre liebgewonnene Spielzeug dann doch auf ewig kaputt zu machen.