Eurovisionäre Nachhilfe: 05. Mai 1990
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Der ESC-Jahrgang 1990, ein Klassiker! Selten zuvor gab es so viele Songs, die meine private Playliste anführten und auch ohne den Contest hätten bestehen können. Selbst heute, fast 25 Jahre später, weiß ich eigentlich gar nicht, wo ich mit meinen Lobeshymnen anfangen soll… Sicher bei Israel und seiner wundervollen Rita, die mich auf Jahre – was sag ich! – Jahrzehnte danach in schönen wie auch gleichermaßen traurigen Momenten begleitete. Die spanischen Azucar Moreno, denen zwar auf ewig diese dumme Playback-Panne anhängt, die aber auch einen Orkan Modernität in den ollen Wettbewerb gebracht hatten. Frankreich, das den Altmeister Gainsbourg ausgegraben und mit ihm ein erneutes Husarenstück abgeliefert hatte. Oder die Türkei, die erstmals in der ESC-Historie die eigene Melancholie erfolgreich in Noten umsetzen konnte. Die liebenswert stelzige Dänin, der traurige Belgier sowie die gastgebenden Jugos, die kurz vor Schluss noch einmal verrückte Sachen machen wollten. Anders als heute war da selten die Skip-Taste im Spiel, wenn ich der (damals noch nicht offiziellen) CD gelauscht habe und einen wahrhaftig eurovisionären Flash verspürte.
Der 05. Mai war heiß! Wie gewohnt hatte ich nachmittags Günter Krenzens Pop-Report verfolgt und die Songs des Abends studiert, während ich in besagtem Jahr erstmals so richtig auf ESC-Party machen wollte. Dementsprechend ewig lang war ich damit beschäftigt, möglichst viel Platz in dem winzigen Kühlschrank meiner 3-qm-Küche zu schaffen, um irgendwo Unmengen an Sektflaschen deponieren zu können. Damals war es in, bei Festivitäten dieses Zeugs zu trinken! Heutzutage käme das zwar niemandem mehr in den Sinn, dennoch erinnere ich nostalgische Bilder, frohgelaunt aus einer Art Getränkefeinkosthandel kistenweise angeblich hauseigenes Perlgesöff geschleppt zu haben. Dieses galt es also zu verstauen und zu kühlen, um es den Gästen bestmöglich temperiert anbieten zu können, das Warten auf die abendliche Bescherung nutzte ich folglich recht pragmatisch. Es war eine komische Zeit, Deutschland war den Winter zuvor in etwas wiedervereinigt worden, das ich nie kennengelernt hatte, und jetzt eben zu allem Überfluss noch heiß. Ein Sommer Anfang Mai halt.
Gegen 20 Uhr war es dann vollbracht, die Eurovisionsgirlande (prust!!!) hing und die Käse-Lauch-Suppe, die es damals auf jeder zweiten Feier gab, war gekocht. Doch zu einer Zeit, als Eurovisionsparties nahezu unbekannt waren, ließen sich Außenstehende noch beeindrucken und innerhalb einer halben Stunde waren alle vortrefflich angetrunken und in bester Stimmung. Mit dem cremigen Etwas auf dem Löffel verfolgten wir den Siegeszug der Italiener, die sehr hoffnungsfroh die nahende Einheit Europas besangen, was den damals noch ausschließlich wertenden Jurys wahrscheinlich runter gegangen war wie das sprichwörtliche Öl. Toto Cutugno hatte Jahre zuvor bereits in Mitteleuropa durch eine Single namens „L’Italiano“ auf sich aufmerksam gemacht (die schmetterte ich Mitte der Achtziger so manche Nacht mit meinem lieben Freund Herrn B), nun also gewann er den „Grand Prix“ und ein weiteres Jahr später gar sollte er den Song Contest moderieren, was aber besser ein böser Traum geblieben wäre und zu jenem Zeitpunkt – dem ESC-Gott sei Dank! – noch niemanden interessierte.
Vielmehr ging es, als das Gesinge gegen Mitternacht gelaufen war, darum, dass unser Partysieger die Gemeinde zumindest teilweise an seiner fetten 45 Deutschmark-Wettprämie (nur er hatte den Toto erahnt…) teilhaben ließ. Ob der vorherrschenden Hitze wurde er einstimmig beauftragt, Eiskrem zu besorgen, was sich in den Jahren danach – wie süß! – zu einem festen Ritual entwickeln sollte. Seine Pappenheimer kennend, kam er dann wenig später unter großem Hallo mit der einst trendigen Langnese-Kreation „Sekt-Cooler“ von der Tanke zurück und gab der Partymeute damit den noch fehlenden letzten, ultimativen Kick. Sternhagelvoll zog sich diese nämlich anschließend auf meinen Miniatur-Balkon zurück, demolierte meinen neuen, heißgeliebten Liegestuhl und ließ die Nacht zum Tag werden. Trotzdem müsste ich jetzt lügen, wenn ich behauptete, dass ich mich von diesem Treiben widerwillig entfernt hätte – kurzum: es war ein wunderbarer Abend!
Toto machte anschließend seinen verdienten Weg in die deutschen Charts, wo die heimischen Vertreter Kovac und Kempers mit ihrer Siegel-Hymne von Beginn an nichts zu suchen hatten. Und ich träumte den Rest des Jahres weiter von der israelischen Rita und so manchem, quatsch – einem speziellen! – Partygast (die Testosterone halt!). Diese Wunschvorstellungen jedoch sollten sich erst zwölf Monate später – rechtzeitig zur nächsten ESC-Sause – endgültig entladen. Aber das ist eine andere Geschichte…
Foto Scoreboard & Logo: EBU