Finale: 06. April 1976
Siegerland: Schweden
Siegertitel: Waterloo / Abba
Teilnehmer: 18 Länder
Voting: 100% Jury
Moderation: Katie Boyle
TV-Zuschauer Dt.: unbekannt
Deutscher Beitrag: Die Sommermelodie / Cindy & Bert
An diesem Tag – also vor mehr als vierzig Jahren – wurde der Blogger das, was er seitdem ist, eurovisionaer! Das hört sich vielleicht spektakulär an, anfänglich war es das natürlich überhaupt nicht. Denn während er im Vorfeld des Wettbewerbs die damals alljährlich in der Bravo erscheinende Grand-Prix-Übersicht studierte, sympathisierte der spätere ESC-Maniaco bestenfalls mit den heimischen Vertretern Cindy & Bert, was aus heutiger Sicht hoffentlich mit der Entschuldigung Jugendsünde vergeben sei.
Dann also der 06. April: der kleine eurovisionaer durfte ausnahmsweise länger aufbleiben und tatsächlich seine erste Eurovision am Bildschirm verfolgen! Ein Abend voller Ooh-, Hui- und Aha-Erlebnisse: Nie zuvor hatte er diese Fanfare gehört, die das Festival feierlich eröffnete, und einen Kommentator, der erklären musste, was die Ansagerin im Morgenrock erzählte. Europäische Länder kannte er zwar aus dem Diercke-Schulatlas, dass diese jedoch um die Wette sangen, war ihm bis zu dem Zeitpunkt noch nicht untergekommen. Aufgeregt wie Bolle war er, doch die ersten Lieder – passend zum ehrwürdigen Dome-Theater, in dem sie vorgetragen wurden – waren allesamt recht brav und langweilig, einschließlich das jener Hitparadenerprobten Australierin, die für England startete, wo moderne Musik ja eigentlich herkam. Noch ahnte der spätere Hardcorefan nicht, dass sich innerhalb einer knappen Stunde seine Vorstellung von Pop für immer verändern sollte. Werner Veigel sagte die Startnummer acht an, als Agnetha und Annafrid die Bühne erstürmten und die glitterige Deko wie für sie gemacht zu sein schien. “My my, at Waterloo Napoleon did surrender!” Sofort war dem eurovisionaer klar, dass das piefige deutsche Duo dagegen nur abstinken konnte und seine Mikros am besten schnell wieder eingepackt hätte. Okay, die Holländer, die er aus der ZDF-Hitparade kannte, waren ganz lustig, die Italienerin offensichtlich sehr traurig und die Israelis trugen rattenscharfe Pullunder. Sein Favorit für diese seltsame Hitparade aber stand schnell und unerschütterlich fest – es waren die schwedischen Abbas (diese Pluralform wurde damals übrigens wirklich benutzt).
Im familiären Umfeld dagegen kam “Waterloo” gar nicht gut an, schließlich hatten Hippies beim Schlagerwettbewerb nichts zu suchen! Freundliche Fräuleins wie Severine, Dana und Vicky Leandros waren es, die das Spektakel die letzten Jahre über dominiert hatten. Gruppen waren erst seit zwei Jahren offiziell zugelassen und als Vertreter der so genannten Beatmusik im Grunde genommen (noch) vom Schlagermainstream verpönt. Okay, heute wissen wir natürlich um die an jeder Ecke lauernde behäbige Spießigkeit der Siebziger, damals erahnte der Blogger sie nur. Abba waren daher so was wie ein frischer Luftzug, der raketenschnell durchs muffige Wohnzimmer zog. Knallbunte Lichter in seiner bis dato eher schwarz-weißen Welt!
Dann folgte die für heutige Verhältnisse relativ flotte Wertungsprozedur unter Leitung von Katie Boyle (immer noch im puscheligen Morgenmantel): 24 Votes, trotz der Null-Punkte-Klatsche der angelsächsischen Juroren reichte das zum Sieg, der vielleicht am riesigen Brightoner Scoreboard nicht übermäßig eindrucksvoll daher kam, für die europäische Gesangsveranstaltung jedoch einen tiefen Einschnitt darstellte. Urplötzlich wurde der Grand Prix Eurovision zum Eurovision Song Contest (obschon die Briten diesen Namen bereits in den 60ern einführten, er sich aber lange Zeit gegen den französischen Terminus nicht durchsetzen konnte) und lieferte wahrhaftiges Hitmaterial.
Nur so am Rand bekam der kleine eurovisionaer in den Wochen danach mit, dass der Kanzler umziehen musste und wegen Beckenbauer ein riesiger Fußball auf seine Straße gemalt wurde. Abba dudelte er während jenes heißen, langen Sommers rauf und runter. Zwar hatten es selbst Frau Sheer und der dicke Holländer auf seine vom Radio aufgenommene himmelblaue Musikkassette geschafft, dennoch gierte er eigentlich pausenlos nach neuen Melodien der vier Schweden, die ihn auf immer größeren Postern aus jeder Ecke seines Kinderzimmers anlächelten. Und auf die damalige Lieblingshose, ein giftgrünes Polyesterding mit überdimensionalem Schlag, durfte er unter Aufsicht seiner Oma das Kürzel ABBA aufbügeln. Vorsichtig, damit die Hose nicht in Flammen aufging. Auch als die Skandinavier – seltsamerweise – innerhalb weniger Monate bei seinen Klassenkameraden jäh uncool wurden, blieb er ihnen treu und sparte weiterhin sein Taschengeld für stets neue Alben und Singles. Über acht Jahre – seine gesamte Teenagerzeit – ging das so, immer waren sie da, wo so vieles wegbrach, machten mit ihrer Musik glücklich. Dann kam nichts Neues mehr. Lange hatte der eurovisionaer gewartet, dass sie wie alle anderen irgendwann einfach wiederkommen. Sie taten es nicht. Mittlerweile denkt er sich, dass das ein Glück war. Denn möglicherweise nur deswegen bleiben sie selbst heutzutage so frisch und fabelhaft wie am 06. April 1974.
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