Mal wieder durchgemogelt?

Mal wieder durchgemogelt?

AZBAzerbaijan – twelve Points! Das haben wir vergangenen Samstag zehnmal gehört. Abgesehen von den üblichen Verdächtigen Russland und Georgien kamen sie ebenso wieder aus Bulgarien, Malta und Litauen. Insbesondere die Höchstwertung aus der baltischen Republik sorgt dieser Tage für Aufmerksamkeit, nachdem einen Abend vor dem großen Finale ein litauisches Video auftauchte, dass einen angeblichen Deal zu Gunsten Aserbaidschans dokumentierte. Dabei sollen größere Geldbeträge denjenigen versprochen worden sein, die im Gegenzug am Samstag – und mit entsprechenden SIM-Karten versorgt – für den kauskasischen Staat anrufen.

Ähnliche Vorwürfe gab es bereits letztes Jahr, als sich Verantwortliche des zypriotischen TV-Senders CyBC wunderten, dass dem aserbaidschanischen Beitrag acht Punkte aus Zypern zuteil wurden, obschon die Jury dem Song keine Stimme gab. Eine Beeinflussung des Televotings scheint in bevölkerungsärmeren Staaten, gerade wenn diese nicht am Finale teilnehmen und daher über wenig Zuschauerresonanz verfügen, besonders erfolgversprechend zu sein. Bis heute ist nicht bekannt, ob die EBU den damaligen Fall untersuchen ließ.

Am vergangenen Sonntag, kurz nachdem das zuvor erwähnte Video publik wurde, gingen nun die Aseris selbst in die Offensive: Sie reklamieren nun ebenfalls Unstimmigkeiten beim Malmöer Voting, weil nämlich der Bruderstaat Russland am Samstag keine Punkte aus Baku erhalten hatte, obschon die Jury angeblich „eine hohe Punktezahl“ an die russische Sängerin vergeben habe. Der (für seine Nähe zur Demokratie nicht gerade bekannte) Präsident Aliyev solle nun höchtspersönlich eine erneute Stimmenauszählung vorantreiben. Zur gleichen Zeit bevölkern aserbaidschanische „Fans“ diverse Internetforen und werfen den armenischen Anhängern vor, sie hätten das Video fingiert, um dem Nachbarstaat zu schaden.

Das liest sich in der Summe wie ein gelungener Kindergeburtstag, könnte dem Wettbewerb letztlich aber erheblich schaden, zumal man westlich von Berlin nicht müde wird, alljährlich Schiebung und Nachbarschaftshilfe hinter den eigenen schlechten Platzierungen zu vermuten. Dennoch ist es erstaunlich, dass die EBU heute offiziell nochmals die Richtigkeit der aserischen Punktevergabe bestätigte und darüber hinaus die Manipulationsvorwürfe kommentierte, wo sie doch sonst derartige Meldungen einfach aussitzt:

„Sollten wir Beweise dafür finden, dass Regeln gebrochen wurden, einschließlich versuchter Power-Votings, werden wir unverzüglich das tun, wozu wir unseren Mitgliedern gegenüber verpflichtet sind: die Marke Eurovision Song Contest zu schützen.“

Ob den Worten Taten folgen, werden wir sehen. Sollte sich der Stimmenkauf jedoch bewahrheiten, ist die Lösung des Problems ganz einfach: die Aseris – und alle anderen, die es ihnen gleichtun – in hohem Bogen vor die Tür setzen!

Update: Mittlerweile nimmt die Auseinandersetzung immer skurrilere Formen an. Nun hat sich auch Weißrussland zu Wort gemeldet. Dessen Präsident Alexander Lukashenko zweifelt ebenfalls an der Rechtmäßigkeit der Ergebnisse, da sein Reich aus Russland keinen einzigen Punkt erhalten habe. Allmählich wird immer deutlicher, welche Vorstellungen einige osteuropäische Länder von einem fairen Wettbewerb tatsächlich haben. Die EBU sitzt in der Falle, wenn sie nicht schnellstens alle nationalen Wertungen veröffentlicht und das Verhältnis zwischen Televoting und Juryabstimmung transparent macht. Daran, dass der Eurovision Song Contest nicht allein munteres Wettsingen, sondern seit Jahren auch zu einer politischen Bühne verkommen ist, wird das jedoch nichts ändern.

Grafik: eurovisionaer

Europe is watching you

Eine Losung, die in anderen Kontexten eher furchteinflößend gewirkt hätte, zeigte am vergangenen Samstag, dass zwar nicht ganz Deutschland, aber zumindest dessen 2011-er Moderatorin Anke Engelke Eier in den Hosen hatte. Während die um den Eurovision Song Contest 2012 in Baku begleitende journalistische Berichterstattung  zunehmend auf das Thema Menschenrechtsverletzungen in dem autoritär beherrschten Gastgeberland fokussierte, wurde im Rahmen der eigentlichen Live-Sendung über nahezu drei Stunden die Chance vertan, auf eben diese Missstände hinzuweisen. Doch dann wurde kurz vor Schluss als 38. von 42 Wertungen jene aus Deutschland abgerufen:

Nun mag man vielleicht über die Formulierung streiten, oder darüber, dass ausgerechnet Deutschland mal wieder den Zeigefinger erhoben hat… Fakt ist: Aserbaidschan hat alles dafür getan, sich der Öffentlichkeit als europäisch, weltoffen und modern zu präsentieren. Dennoch konnte die Hochglanzshow nicht verdecken, dass vor der Arena friedliche Demonstrationen gewaltsam aufgelöst und kritische Journalisten zusammengeschlagen wurden. Für den Bau der Baku Crystal Hall wurden Bürger vertrieben und zwangsumgesiedelt.

Den Besuchern der Show wurde per Ticketaufdruck mitgeteilt, es sei verboten, andere Flaggen als die der teilnehmenden Nation mitzubringen (z.B. die Armeniens oder die sicherlich gut zur Veranstaltung passende Regenbogenfahne). Und ähnlich wie 2009 in Moskau wurden die vorderen Zuschauerreihen nicht ganz zufällig vornehmlich mit jubelnden weiblichen Fans besetzt.

Doch haben all diese Anmerkungen im Umfeld eines banalen Schlagerfestivals eine Berechtigung? Haben nicht nahezu alle Nationen ihre Künstler nach Baku entsandt? Hat sich nicht die deutsche Firma Brainpool gerühmt, den fetten Zuschlag für die Produktion erhalten zu haben? Hat nicht die EBU bis zuletzt mit dem Regime Aliyev kooperiert? Haben wir Fans nicht alle unseren eurovisionären Spaß gehabt?

Nein, die Show hätte nicht einer blödsinnigen Regel gehorchend an Aserbaidschan vergeben werden müssen, denn wir wissen seit Jahren, dass die Aseris (und nicht nur die) weniger am musikalischen paneuropäischen Wettbewerb als an der politischen Plattform interessiert sind, die er bietet. Wir wissen, dass die niedlichen Babushkis nur davon ablenken sollen, dass es im „Beinahe-Austragungsland 2013“, Russland, nunmehr per Gesetz verboten ist, alleine schon das Wort „schwul“ auszusprechen. Wir wissen, dass die Sicherheit der Contestbesucher 2008 in Belgrad lediglich über unzählige Hundertschaften Polizisten gewährleistet werden konnte.

Es gibt kein Medienereignis, dass dermaßen von Homosexuellen aus allen Ecken der Welt vereinnahmt und verehrt wird wie der Eurovision Song Contest. Die meisten von ihnen achten Werte wie Freiheit und Toleranz und selbstverständlich sollten gerade sie diese propagieren dürfen. Dadurch wird der Wettbewerb beileibe nicht politisiert, sondern vielmehr auf sein völkerverständigendes Ausgangsmoment zurückgeführt.

Einige EBU-Mitglieder (darunter aus Schweden, Norwegen, aber auch aus Großbritannien) wollen in Kürze einen Antrag einbringen, dass assoziierte Länder aus dem Verbund ausgeschlossen werden können, wenn sie demokratische Grundrechte wie beispielsweise die Rede- und Pressefreihet nicht achten. Zeiten der Eurovisions-Rekordteilnehmerzahlen und abenteuerliche Interviewübersetzungen wie im folgenden Beispiel wären dann endgültig Geschichte:

Doch bis es soweit ist, sind wir dankbar für den kleinen Einwurf von Frau Engelke, der wie ein dicker stinkiger Furz eines ungezogenen Mädchens das ach so glamouröse Fest – wenn auch nur kurz – unterbrach.


Eurovisionseuphorie

Ohne auf diesem Blog einen Countdown einzurichten (was technisch ohne weiteres machbar wäre), wissen nicht nur Insider Eurovisonäre, dass der Höhepunkt der Saison kurz bevor steht. Mit dem Finale in Baku (wer redet schon von den Semis….? Die ARD zumindest nicht, denn die selbst ernannte Anstalt schiebt eben diese in verschiedene Spartenkanäle) wird am 26.05.2012 der Schlusspunkt der Eurovision 2012 gesetzt werden.

Glaubt man den Kennern, Wettbüros und europaweit organiserten Fanclubs ist das Rennen eh entschieden. Schweden macht nicht den aserbaidschanischen Fehler und baut bereits jetzt schon fleißig ein gigantomanisches Stadion, um die Besucher im Mai 2013 in Stockholm begrüßen zu dürfen. Loreen, deren Vertreterin, schafft es derzeit, mit ihren euphorisierenden Gesängen alle Quoten auf sich zu vereinigen und selbst die medial nicht gerade unterrepräsentierten Omas aus der russischen Provinz auszustechen. Ob es sich denn dann am 27. Mai frühmorgens in Baku ähnlich verhalten wird?

Hoffentlich nicht! Wie Kinder beim Öffnen eines bekannten Schokoladeneis wünschen auch wir uns Spiel, Spaß und Spannung. Düsseldorf hat bewiesen, dass ein weit gestreuter Favoritenkreis gar nicht unbedingt musikalisch dazu beitragen kann, die Veranstaltung aufzuwerten. Auch 2012 gibt es neben der besagten Schwedin eine kleine handvoll Beiträge, die man – anders als die 1000mal gehörte serbische Ballade oder mitgewuppte griechische Disconummer – so nicht erwartet hätte. Beispiele? Wie wäre es mit dem israelischen 70er-Jahre Retro-Sound der Band Izabo oder aber der halbwegs frische Sound der eidgenössischen Sinplus? Von der großartigen italienischen Diva ganz zu schweigen! Gleichwohl sind es 2012 wenige, häufig werden wie gesagt erfolgreiche Klischees der Vorjahre benutzt, da auch die Zuschauer angeblich nichts anderes wünschen.

Wirklich? Warten wir es ab! Sicherlich wäre selbst dann das schwedische Angebot nicht das schlechteste, alleine deshalb, weil es ausnahmsweise nicht das traditionelle Abba-Muster verfolgt. Nur ganz so eindeutig, wie jetzt prognostiziert, muss es ja nicht werden!

Trotzdem sollte man sich auch als Eurovisionär darüber im klaren sein, dass unsere Lieblingsveranstaltung in diesem Jahr erneut kein chartstaugliches Material abwerfen wird. Schaut man sich allerdings eben diese Charts an, ist auch eine solche Option nicht die schlechteste. Brot und Spiele – diesem Anspruch wenigstens wird die Eurovision 2012 mehr als gerecht! Und mehr muss es nicht sein, oder?


Ganz großes Kino!

sunset boulevard wikimediaEine perfekte Ausleuchtung, die der ehemaligen Diva das passende Ambiente für ihre Nahaufnahme lieferte, und Butler Max, der in der Person von Ralph Siegel ihren Wahn bestärkt, sie sei nach wie vor ein großer Star. Dennoch blieb das Remake von „Sunset Boulevard“ letztlich nur eine Episode der helvetischen Vorentscheidung, die am vergangenen Samstag stattfand, wenn auch eine, die es in sich hatte. Der selbsternannten Jurowischnqueen Lys Assia wurde ein gehöriger Strich durch die Rechnung gemacht, längst vergessene Zeiten wieder aufleben zu lassen.

Und was danach passierte, ist weniger großes Drama, sondern eher herzhafte Komödie. Denn so leicht gab sich die wahnhafte Grande Dame nicht geschlagen und füllte in den Folgetagen die Schlagzeilen der Schweizer Presse:

„Dass sich eine Jury so flegelhaft aufführen kann und so frech ist, mir das Du anzubieten.  Man kann mich nicht so als Künstlerin beleidigen und das Lied so heruntermachen. Das ist ein sehr schönes Chanson. Und eigentlich ist es ja ein Chansonfestival und kein Tonk-Tonk-Festival.“

Tonk-Tonk scheint ein Begriff der Fünfziger Jahre zu sein und ist mir nicht geläufig. Offenbar bezeichnet er etwas Neuartiges, Modernes. Zumindest in dieser Hinsicht scheint Frau Assia mal einen lichten Moment gehabt zu haben, denn der befürchtete reaktionäre Supergau blieb aus und die auch nicht mehr so junge Eurovision kann aufatmen. Die nunmehr weise ausgewählten Vertreter Sinplus sind nicht nur der genaue Gegenentwurf zu der mittlerweile demontierten Ikone Assia, sondern auch der Hoffnungsschimmer, dass der Contest frisch, sympathisch und zeitgemäß sein kann. Bleibt nur zu beten, dass die Juryköppe diese vielversprechende Wendung am 26.05.2012 nicht wieder platt walzen.

Denn ansonsten ist 2013 mit dem längst nicht mehr würdevollen, drohenden Weltstar erneut zu rechnen:

„Ich werde ewig weitersingen!“

Foto: Wikimedia / SunOfErat


Toute chose en son temps

Nach einer anfänglichen Phase der Sprachlosigkeit fällt es mir nun nicht schwer, den vorherigen Artikel in seiner vorerst nur angedeuteten Grauenhaftigkeit noch zu überbieten. Bereits vor einigen Wochen wurde bekannt, dass die penetrant prahlende Lys Assia das Line-Up der schweizerischen Vorentscheidung 2012 durch eine Gesangsdarbietung aufwerten wolle. Klar, dass sie für dieses frevlerische Ziel einzig Ralph Siegel anheuern konnte, der sich in einem ersten Interview gewohnt bescheiden gibt:

„Meine Musikerfreunde sind begeistert über unseren Coup. Ganz Europa ist wild auf Lys Assia. Das Lied sollte eine Art ‹My Way› werden. Ich hoffe, das ist mir gelungen.» Lys Assia ganz gerührt: «Ich habe nie damit gerechnet, noch einmal so etwas erleben zu dürfen.»

lys Assia Wikimedia clausuleOffensichtlich reichte es ihr nicht mehr, alljährlich die Eurovisionsbühne zu erklimmen, um auf ihren grandiosen Sieg anno 1956 hinzuweisen. Altersweisheit war daher schon seit längerem nicht mehr diagnostizierbar. Oder vielleicht doch?  Schließlich lagen bereits in diesem Jahr die Juries der litauischen Chanteuse Evelina zu Füßen, als jene das frankophile Musikjuwel „C’est ma vie“ intonierte. Da erscheint es clever, mit „C’était ma vie“ noch einen drauf zu setzen und die nostalgieschwangeren Juroren in den Schlaf singen zu wollen. Baku 2012? Wenn das so weiter geht und – bewahre! – Madame tatsächlich entsendet werden sollte, erleben wir eher eine Zeitreise Richtung Cannes 1959.

Doch nicht alle sorgen sich um eine eurovisionäre Freakshow, wenn ich den Stimmen einiger ungenannter linientreuer Altkommunisten Fans Glauben schenken darf:

„Dass Assia und Siegel zusammenspannen, wird vor allem Stefan Raab ärgern», schreibt ein User. «Der Song klingt überraschend gut», lobt ein anderer. Die Ballade wird sogar mit dem Ohrwurm von Raphael Gualazzi (29) verglichen, der am ESC dieses Jahr den zweiten Platz erreichte. «Dieses schöne Lied hat so viel Chancen wie Italien», ist sich ein Fan sicher.“

Ist eigentlich Margot Hielscher samt ihrer Schellackplattensammlung beim offenen Casting zu „Unser Star für Baku“ schon gesichtet worden?

Gute Nacht, Europa

Foto: Wikimedia / Clausule

Schluss mit lustig

Während sich die Reference-Group letzten Monat ob der Vorbereitungen 2012 etwas wortkarg gab und der homo-, metro-, heterosexuelle Eurovisionssieger Eldar Qasimov dagegen nicht müde wird zu beteuern, dass dem schwul-lesbischen ESC-Stammpublikum in Baku keine Gewalt drohe, blättere ich in einem aserbaidschanischen Reiseführer, der mir vor wenigen Tagen von den Herren P. und V. geschenkt wurde.

Nicht nur, dass die Landeswährung Manat derzeit exakt einem Euro entspricht und von Robert Kalina entworfen wurde, der bereits – richtig! die uns vertrauten europäischen Scheinchen designt hatte – auch erfahre ich, dass die Luft in der kosmopolitisch anmutenden Hauptstadt insbesondere nahe der schillernden Uferpromenade nach Smog, Salz und Öl rieche. Selbst das Kapitel Sex (ja, das gibt es in diesem bereits 2009 aufgelegten Kompendium auch, ohne dass die Autoren wohl damals ahnten, wie wissbegierig sich heutzutage mancher Leser darauf stürzt….) klärt auf, dass die Gesellschaft zwar recht konservativ sei, jedoch in der Umgebung vom Europa-Hotel von selbiger gelegentlich Transvestiten gesichtet wurden. Generell dürften (wohl auch in anderen Hotels, so interpretiere ich das mal) gleichgeschlechtliche Paare, die ein Bett teilten, weniger Aufmerksamkeit erregen als ein unverheiratetes heterosexuelles Pärchen. Und letztlich sei gar die Kriminalitätsrate eine der niedrigsten Europas, wenngleich in der Region Nagorny Karabach schon ein wenig Vorsicht geboten sei.

Während also meine westeuropäisch geprägte Seele sich allmählich mit dem Gedanken eines südkaukasischen Traumurlaubs anfreundet, beginnen nun die Aseris jedoch – oder besser gesagt ihre politische Führung – den ganzen Träumereien ein jähes Ende zu bereiten. Natürlich geht es dabei um den Konflikt mit Armenien, genauer gesagt um die Herausgabe von Gebieten in der oben erwähnten Region Berg-Karabach, die der Nachbar seit 17 Jahren besetzt hält. Notfalls wolle man das Gebiet mit Gewalt befreien, sagte Präsident Ilcham Aliyev bei einer Militärparade zum “Tag der Streitkräfte“ am 26. Juni 2011 und redete sich damit weder in die Herzen der seit Jahren verhandelnden EU noch in die der für den Songcontest zuständigen EBU. Da hört dann sicherlich der Spass auf. Dem geneigten Fan sei daher mal zur Abwechslung neben dem den Sommer überbrückenden Studium der Wertungstabellen der 60er Jahre auch diese Seite (mittlerweile leider gelöscht) empfohlen, die einen guten Einblick in die derzeitig mehr als angespannte Lage gibt.


A far l’amore comincia tu

Bereits letzte Woche fand in Genf ein Treffen der EBU mit Vertretern des aserbaidschanischen Fernsehsenders Ictimai TV statt, dessen Ergebnisse erst jetzt veröffentlicht wurden. Oder auch nicht. Während Deutschland sich im Sommer 2010 damit begnügte zu überlegen, wo man denn die Eurosause stattfinden lassen möchte und man sich glücklicherweise während eines längeren Altbierrausches für Düsseldorf entschied, steht hinter Baku 2012 immer noch kein Ausrufe-, sondern weiterhin ein Fragezeichen. Natürlich wird das so nicht offiziell kommuniziert. Vielmehr wird auf die lizensierte Verwendung des Logos und sehr ausführlich auf die seitens des Organisators einzuhaltenden Sicherheitsgarantien im Rahmen des Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verwiesen. Hm…vielleicht bekommt Ola Sand doch noch kalte Füsse. Visazwang, Teilnahmebedenken seitens Armenien und Israel, Zeitverschiebung und eine noch nicht gebaute Veranstaltungshalle machen ihm derzeit wohl schwer zu schaffen. Anders kann man sich nicht erklären, dass erst eine Woche nach dem Delegationstreffen Presseinformationen verbreitet werden.
Eine wie diese zum Beispiel: Das vorzeitige Televoting (Abstimmung mit Beginn des ersten Beitrags) wird nach zwei Jahren wieder abgeschafft. Die Zuschauer habens einfach nicht kapiert und trotzdem erst nach dem letzten Song angerufen, was man sich zwar schon vorher denken konnte, aber eine offizielle Analyse schadet ja nie. Bei der ist dann auch herausgekommen, dass die ständigen großformatigen Einblendungen der Telefonnummern so sehr abgelenkt haben, dass keiner mehr richtig zuhören bzw. die Darbietung der Interpreten nur eingeschränkt aufnehmen konnte. Das sind ja immerhin mal Neuigkeiten!
Machen wir im Alltag ja manchmal auch: Wenn wir irgendwas partout nicht erzählen wollen, quatschen wir einfach einen anderen Sermon, denn das lenkt die Zuhörerschaft ab. Allerdings funktioniert das auch da nicht auf Dauer, denn irgendwann hakt einer nach. Bei der EBU wahrscheinlich auch, denn spätestens beim nächsten Treffen der Reference Group, das für Mitte August in Baku angekündigt ist, wollen wir schon wissen, ob wir uns alternativ auf die italienische Variante von Organisationstalent im Rahmen einer Show „Fulll off Tekknick änd full off Soooool“ des diesjährigen Zweitplatzierten einstellen müssen. Und wer erinnert sich nicht gerne an verrostete Kommentatorenkabinen und gestenreiche Moderationen Anno 1991 in Rom? Mit so einem As im Ärmel wird die EBU die Aserbaidschaner schon gefügig machen!


Es is der da…

thomas d flickr teliko82Das Grundkonzept zur deutschen Vorentscheidung 2012 steht. Trotz des Abgangs von Stefan Raab wird ähnlich wie im ersten Durchlauf 2010, in dem Das Erste, ProSieben sowie diverse Radiosender Lena Meyer-Landrut suchten und fanden, nun „Unser Star für Baku“ gecastet.

Neuer Jury-Präsident wird Thomas D, der mit seiner Band „Die Fantastischen Vier“ und als Solokünstler zahlreiche Musikpreise, u. a. fünf Mal den „Echo“, erhalten hat. Er wird wie Raab in den Vorjahren als über allem schwebender Jury-Präsident und inhaltlich verantwortlicher Musik-Produzent das Jury-Team leiten. Und er nimmt ganz offensichtlich seine Sache ernst:

Präsident wollte ich schon immer werden! Bei diesem musikalischen Groß-Projekt mit dabei zu sein ist eine fantastische Aufgabe, auf die ich mich sehr freue und die ich sehr ernst nehme. Außerdem sehe ich besser aus als Stefan Raab.

Dann kann ja nix mehr schief gehen… Ob das Castingformat erneut den erwünschten Erfolg beim Song-Contest einfahren wird, oder die Teilnahme von „Ich bin Lena, ich bin 18 und ich komme aus Hannover“ sich doch auf lange Sicht als einzigartiger Glücksfall erweisen wird, soll sich dann zeigen. Aber so lange sich hierzulande national erfolgreiche Acts – anders als in vielen osteuropäischen Teilnehmerstaaten – dem Wettbewerb weiterhin verweigern, bleibt uns wohl nichts anderes übrig.

Wer also mal ein Star in Aserbaidschan werden will, kann sich ab sofort bewerben: Anmeldeformulare für die Castings in Köln können im Internet auf www.eurovision.de und www.tvtotal.de aufgerufen werden.

Foto: Flickr / Teliko82

The Politics of Eurovision….

Der Eurovision Song Contest ist ein Wettbewerb zwischen Rundfunkanstalten und nicht ein Wettbewerb zwischen Ländern. Alle aktiven Vollmitglieder der EBU können an dem Wettbewerb teilnehmen. Der öffentliche Fernsehsender von Aserbaidschan Ictimai TV ist Vollmitglied der EBU und kann sich daher an Eurovisionssendungen beteiligen. Nachdem er in diesem Jahr den Contest gewonnen hat, hat der Sender das Recht, den nächsten Eurovision Song Contest für die EBU auszurichten und zu produzieren. Mit Sicherheit stellt sich in diesen Tagen auch bei der Europäischen Rundfunkunion die Frage, ob es sich verhindern lässt, den Eurovision Song Contest im kommenden Jahr zu einer Propaganda-Veranstaltung für den Əliyev-Clan werden zu lassen.

So äußerte sich in einem Interview der Song Contest-Supervisor Jon Ola Sand, der zwar unser Liebling ist, an dieser Stelle jedoch ein wenig Rückgrat vermissen liess. Damit konfroniert, dass Mehriban Əliyeva, Frau des Präsidenten von Aserbaidschan das Organisationskomitee in Baku leitet, sagte Sand:

Wir reden ausschließlich mit ictimaiTV. Ich kann nichts darüber sagen, was die Frau des Präsidenten macht. Ich weiß nichts darüber. Ich bin sicher, auch in Aserbaidschan wird es intensive Gespräche geben, wie der Contest am besten geplant und ausgerichtet werden kann.

Ähnlich wie in Düsseldorf gibt es mittlerweile auch in Aserbaidschan eine Taskforce, die sich mit den wichtigen Inhalten rund um die Organisation des Wettbewerbs auseinandersetzt, auch wenn diese von vielen Ministern und Oligarchen besetzt ist. Auf die Regeln der EBU angesprochen sagte Sand, dass es klare Vorgaben bezüglich der Redefreiheit gibt und dies für Fans, Delegationen und Journalisten gilt. Garantien für die Sicherheit der Anreisenden werde die EBU aber nicht übernehmen, dafür werde allerdings der Sender iTV in die Pflicht genommen.

Und während Armenien bereits seine Teilnahme im nächsten Jahr wegen des Nagornyj-Karabach-Konflikts abgesagt hat, Israel nicht nur feiertagsbedingt zögert, befürchten einige Eurovisionsanhänger bereits einen größeren Boykott. Nicht so unser aller Ola:

Nein. Und dafür gibt es bislang auch keine Anzeichen. In Oslo nahmen 39 Nationen teil, in Düsseldorf waren es 43. Keiner kann zu diesem Zeitpunkt sagen, wie viele es in Baku sein werden.

Foto: EBU / FredricArff

…als hätten wir’s geahnt

flagge Israel pixabayDie israelische Fernsehanstalt IBA hat bei der EBU angefragt, den Wettbewerb 2012 um eine Woche zu verschieben, um auch kommendes Jahr am Song Contest teilzunehmen. Nach jetziger Planung soll dieser am 22., 24. und 26. Mai stattfinden, in diesen Zeitraum fällt jedoch ein jüdischer Feiertag. Darüber hinaus stellt auch die offene Grenze Aserbaidschans zum Iran ein Problem für die Israelis dar. Die EBU müsse eine Sicherheitsgarantie abgeben, um die israelische Delegation bei einer eventuellen Teilnahme zu schützen. Israel nahm 1980, als der Wettbewerb eigentlich wegen des Vorjahressieg erneut hätte in Jerusalem ausgetragen werden sollen, 1984 und 1997 aufgrund von Feier- und Gedenktagen nicht am Wettbewerb teil.

Foto: Pixabay