Die Flamme erlischt

Die Flamme erlischt

Category : Artikel 2017

Wie so viele andere, krönt der eurovisionaer seine ESC-Leidenschaft u.a. mit dem Sammeln von mittlerweile nicht mehr zählbaren Audiotracks, die in einer irgendwie gearteten Verbindung zum Wettbewerb stehen. Einige unter ihnen markiert er als „withdrawn“, weil das Einsendeland doch noch bessere Melodien auftrieb, oder als „disqualified“, weil irgendein Regelverstoß dazu führte, dass die EBU den Beitrag nicht zum Finale zulassen wollte. Seit gestern gilt es, ein neues, zusätzliches Attribut zu finden.

Da nämlich entschied der Geheimdienst der Ukraine, Gastgeberland des Eurovision Song Contest 2017, die russische Kandidatin Julia Samoilova vom Wettbewerb auszuschließen. Sie war 2015 auf der damals von Russland annektierten Krim aufgetreten und zu diesem Zweck nicht über das ukrainische Festland eingereist. Gemäß der dortigen Gesetze ist das illegal und wird mit einem dreijährigen Einreiseverbot in die Ukraine geahndet.

Damit entscheidet erstmals in der Geschichte des ESC ein Gastgeberland darüber, ob bzw. welche Künstler am Wettbewerb teilnehmen dürfen. Die EBU verhält sich butterweich (wie schon in den vergangenen Monaten, als Kiew mit diversen organisatorischen Problemen zu kämpfen hatte), bedauert den Vorfall, verweist aber auf die Gesetzgebung in der Ukraine und katapultiert sich damit als Organisator und Schiedsrichter des Events in ein scheinheiliges Nirwana.

Hilflos bietet sie kurze Zeit später der russischen Sängerin an, per Moskauer Satellitschalte an der Sendung teilzunehmen, was Channel One Russia prompt mit Verweis auf die Wettbewerbsregularien ablehnt und auch die ukrainische Politik nicht zulassen möchte, da nach einem wiederum anderen nationalen Gesetz „unerwünschten Personen“ grundsätzlich die Teilnahme an TV-Sendungen verboten sei. In letzter Konsequenz hätte die Ukraine wohl den Samoilova-Auftritt nicht übertragen.

Die ESC-Fans bewaffnen sich derweil mit Popcorn und genießen von der heimischen Couch aus das politische Spektakel, das zunehmend der dürftigen Handlung einer Soap-Opera gleicht. Wenige haben den russischen Song in ihrer Bestenliste des Jahrgangs – so what? Andere vermuten eine von Anfang an durchsichtige Provokation Moskaus oder berufen sich ebenfalls auf die geltende ukrainische Gesetzgebung, die nun einmal eingehalten werden müsse.

Der eurovisionaer – Fan der ersten ESC-Pop-Stunde 1974 – stellt derweil kopfschüttelnd fest, zu was sein Lieblingsschlagerwettbewerb in den Händen zweier Kriegsparteien verkommen ist. Und Gründervater Marcel Bezençon dürfte sich zwischenzeitlich gar im Grabe umdrehen, glaubte er doch, dass ausgerechnet Musik die zerstrittenen Völker Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vereinen könne, wenn diese in gegenseitigem Respekt und Anerkennung um den Grand Prix Eurovision wetteiferten.

Von diesem Ideal ist 2017 nichts mehr übrig. Schlimmer noch: es scheint auch niemanden zu stören. Lange nach der einst umjubelten Öffnung des eisernen Vorhangs fokussiert sich die Fanszene nunmehr auf Russland als ungeliebtes Adoptiv-Kind des ESC. Unvergessen die Buh-Orgie gegen die russische Teilnehmerin Polina Gagarina, die den Tränen nahe jede weitere 12-er-Wertung in der Stadthalle zu Wien fürchtete und ausgerechnet von Conchita Wurst getröstet werden musste. Grund: Die Fanschar mochte (was grundsätzlich nachvollziehbar ist) nicht im Folgejahr ins ehemalige Zarenreich reisen müssen, seitdem dort 2013 Anti-Schwulen-Gesetze verabschiedet wurden.

Wie der aktuelle Streit zeigt, haben auch heute noch viele Länder Osteuropas in Punkto Toleranz, Meinungsfreiheit und Minderheitenschutz immensen Nachholbedarf. Nicht allein Russland und die Ukraine, auch Weißrussland, Azerbaidschan sowie weitere ehemalige Ostblockrepubliken können nicht das halten, was der fröhliche Sängerwettstreit als Demokratiemuster eigentlich verspricht.

Die ansonsten gerne unpolitischen ESC-Nerds wiederum tappen in eine Falle, wenn sie Landesgesetze, die vor vier Jahren in Russland noch wütend angemahnt wurden, heutzutage – nur weil sie aus der Ukraine kommen, aber gleichermaßen unsinnig sind – als gegeben akzeptieren. Denn es darf nicht Kiew überlassen bleiben, den Contest zu instrumentalisieren und darüber zu entscheiden, welche unliebsamen Teilnehmer mal eben von der Liste verbannt werden dürfen. Hierüber entschied bislang einzig die EBU.

Die wiederum macht eine mehr als unglückliche Figur und muss sich für die Eskalation der jüngsten Polit-Schmierenkomödie ganz dicke an die eigene Nase fassen. Öffnete sie doch erst im Vorjahr den Wettbewerb für politische Einflussnahme, weil sie den ukrainischen Beitrag „1944“ zuließ, der vordergründig die damalige Vertreibung der Krimtataren, zwischen den Zeilen aber ebenso die gegenwärtige russische Politik thematisierte. Das fällt ihr in der Causa Samoilova nun auf die Füsse, wenn sie einerseits den angeblich unpolitischen Charakter des Festivals hervorhebt, und sich gleichsam ukrainischen Entscheidern andient, ohne zu erkennen, welches strategische Spiel diese gerade spielen.

Seien wir ehrlich: Die Ukraine wollte 2017 von Beginn an keine Russen im ESC-Land haben. Das zuzugeben, wäre ob der EBU-Statuten unmöglich gewesen. Statt dessen reimt man sich nun irgendwelche Einreiseverbote zusammen. Den Genfer Funktionären sollte es allmählich dämmern, in welches Dilemma sie sich mit der Vergabe an Kiew begeben haben. Längst haben sie Pandoras Büchse geöffnet. Der einst friedliche Schlagerwettbewerb ist nicht mehr allein die Lachnummer des schlechten Geschmacks, die regelmäßig in irgendeinem hochnäsigen Feuilleton karikiert wird, sondern zum Austragungsort politischer Propaganda verkommen.

Wäre die EBU stark und über alle Zweifel erhaben, würde sie um ihre eigenen Prinzipien der Ukraine die Ausrichtung sofort entziehen, den Contest nach Schweden verlegen und die Russin auf die Bühne holen. Doch damit ist nicht zu rechnen – der Konjunktiv hat gewonnen.

Foto: coloneljohnbritt / Creative Commons CC BY-NC-SA 2.0

Brot und Spiele

Selbst schuld. In der Nacht zum 15. Mai hatte sich das vereinte Schlagereuropa in einem Anflug von bislang ungewohnter Ernsthaftigkeit dazu entschlossen, einen auf politisch korrekt zu machen, wählte die anti-russische Krim-Gedächtnisnummer „1944“ in einem neuerdings inflationären Wertungsmarathon auf Platz 1 und gab dem Siegerland Ukraine als Hausaufgabe auf den Weg, den nächsten Contest 2017 bitteschön auszurichten.

So wollen es die wettbewerbseigenen Regularien, die der Gründungsvater Marcel Bezençon vor mehr als 60 Jahren zu Papier brachte. Nicht ahnend, dass nun – Mitte der weltpolitisch instabilen 2010-er Jahre – ein Land, das zu den ärmsten Europas zählt, sich in einem Bürgerkrieg befindet und Schwierigkeiten hat, eine freiheitlich demokratische Grundordnung herzustellen, dazu gedrängt wird, kommenden Mai den stets schrillen Gesangswanderzirkus zu beherbergen.

Doch hey, was machen die Ukrainer? Anstatt zu sagen „Sorry, aber wir haben gerade andere Probleme“ und die Ausrichtung des über die Jahre monströs gewachsenen und daher immer kostspieligeren Schlagerfestivals dankend abzulehnen, buhlen sie unverhohlen um Respekt und Anerkennung der Westeuropäer, indem sie weit im Vorfeld des zu erwartenden paneuropäischen TV-Traras ein eigenes mediales Spektakel eintüten. Unter dem – wohl der derzeitigen nationalen Rhetorik geschuldeten – martialischen Titel „Kampf der Städte“ schicken sie sechs Metropolen in den Ring, die sich demnächst mit eurovisionärem Flair aufhübschen wollen und dafür der staunenden Öffentlichkeit ihre infrastrukturellen Vorzüge in eigens produzierten TV-Sendungen präsentieren müssen.

Doch diese Form der ESC-Prostitution ist nicht ganz neu. Was noch 2011 in Düsseldorf hinter verschlossenen Türen gemauschelt, in Aserbaidschan ein Jahr später erst gar nicht hinterfragt wurde, entwickelte sich in den letzten Jahren zu einer größeren Herausforderung, als letztlich den zu Song Contest zu gewinnen: die ideale Lokalität für das Wettsingen zu finden. (Mehr über des Autors abgrundtiefe Abneigung gegenüber diesem nunmehr murmeltiergleich jedes Jahr aufs Neue nervenden Thema kann übrigens hier nachgelesen werden).

Die Anforderungen, die die Bewerber zur Krönung als ESC-Hauptstadt 2017 erfüllen müssen, werden von der EBU festgelegt. Sie sind nicht ohne und lassen sich dennoch an fünf Fingern abzählen:

  • zuvorderst braucht es eine Halle, die eine Kapazität für mindestens 7.000 Personen besitzt,
  • die sinnigerweise zudem über ein Dach verfügt (sonst wäre es ja auch keine Halle, sondern ein Stadion),
  • das Ganze bitte in direkter Nähe zu einem Pressezentrum für rund 1.500 Journalisten (oder solche, die sich dafür halten),
  • die wiederum mit den dann ebenfalls anwesenden Funktionären und Künstlern (schwupps sind das schon 3.000 Akteure) zu Beginn der Festivalwoche an einem stattlichen Ort (idealerweise ein altes Rathaus oder ähnliches) zu einem Sekt- Willkommensempfang paradieren können.
  • Abschließend verfügt die ESC-Megacity selbstverständlich über einen internationalen Flughafen, ein kunterbuntes soziales Leben wie z.B. Hipsterbars, Sterne-Restaurants, Upper-Class-Hotels und quirligen kulturellen Zentren, die gerne auch ein wenig landestypische Merkmale besitzen dürfen (aber nicht zu viele und bitte westeuropäischen Standards entsprechend).

„Nichts leichter als das!“ dachten sich neben den routinierten Hauptstädtern in Kiew einige nach ein wenig Publicity strebende Lokalpolitiker in Dnipro, Charkiw, Cherson, Lwiw und Odessa – sie alle wetteifern nun um eurovisionäre Ehren.

Dass bereits die Definition „internationaler Flughafen“ sehr dehnbar sein kann, dass die eigene Bevölkerung dem absehbar verschwenderischen Treiben eher skeptisch gegenüber steht, und dass der ukrainische Kulturminister noch im Juni höchstpersönlich zu Protokoll gab, die Regierung des maroden Landes wolle auf gar keinen Fall Staatsgelder für das Spektakel bereitstellen und biete abgesehen davon sowieso keinen geeigneten Standort, um den Eurovision Song Contest auszutragen – Schwamm drüber, hat keiner gehört.

Auch dass keine der Arenen – bis auf den Kiew Sportpalast, der jedoch zur fraglichen Zeit unseligerweise für ein Eishockeyturnier geblockt ist – über ein Dach verfügt, scheinen die Verantwortlichen geflissentlich übersehen zu haben (obschon sich der Widerwillen der EBU-Gewaltigen gegen Open-Air-Veranstaltungen hätte herumgesprochen haben müssen), tut es doch dem munteren Städteduell, das am 01. August in eine finale Entscheidung münden soll, keinen Abbruch.

Die Schlitzohren der EBU jedenfalls haben sich – wie aus gut informierter Quelle berichtet wird – währenddessen vom ukrainischen TV-Sender NTU schon einmal eine von der Regierung in Kiew gedeckelte Finanzgarantie in Höhe von 15 Millionen Euro zusichern lassen. Sie soll auf den Schweizer Bankkonten der Europäischen Rundfunkunion bis zum Abspann der Fernsehübertragung am 13. Mai 2017 eingefroren und nur dann verwendet werden, falls der Song Contest doch noch kurzfristig in ein anderes Land verlegt werden müsste.

Bis es soweit ist, feiert sich die Ukraine als popkultureller Nabel Europas. Willkommen in Wolkenkuckucksheim!

Foto: NTU

Rausschmiss! Rumänien hat die ESC-Rechnung nicht bezahlt

16 Millionen Schweizer Franken! So viele Schulden hat der rumänische Sender TVR seit 2007 bei der EBU aufgetürmt. Briefe des Gläubigers hat man in Bukarest wohl schon gar nicht mehr aufgemacht, so dass EBU-Generaldirektorin Ingrid Deltenre zum letzten Mittel griff: TVR wird aus dem öffentlich-rechtlichen Sendernetznetzwerk Europas ausgeschlossen. Folge: keine Fußball-EM, keine Olympischen Sommerspiele und kein ESC in der Flimmerkiste. Und für den rumänischen Vertreter Ovidiu Anton selbstverständlich auch keine Teilnahme in Stockholm. Nachvollziehbar, dass sich der Künstler in einem Alptraum wähnt.

„Ohne Göd ka Musi!“ schreibt der österreichische Twitterkollege und richtig – so sind nun mal die Regeln. Dass sich TVR – und vermutlich einige andere Sender in Europa – seit beinahe zehn Jahren damit durchmogeln konnte, sollte nachdenklich stimmen. Jetzt auf die böse EBU zu schimpfen, weil man ja auch drei Wochen noch hätte warten können, ist dumm und kurzsichtig. Schließlich hat die eigene Sendeanstalt den Verrat am Sänger begangen, wußte der Sender doch seit langem um seine Zahlungsunfähigkeit.

In das „Je suis Roumanie“ mag der eurovisionaer daher nicht einstimmen, zumal sich der Verlust des schauderlichen „Moments of Silence“ in Grenzen hält. So wird man unliebsame Beiträge los.


Fliegen die Polen aus der Eurovision?

Während die EU gestern u. a. wegen der Umstrukturierungsmaßnahmen der öffentlich-rechtlichen Medien durch die polnische Regierung deren Rechtsstaatlichkeitsüberprüfung eingeleitet hat, droht weiteres Ungemach durch die in Genf ansässige EBU. In ihr sind 95 Medienanstalten (staatliche bzw. private, die einen öffentlichen Informationsauftrag haben) zusammengeschlossen, so auch der TV-Sender TVP.  Die bekannteste Produktion der Organisation ist der jährlich stattfindende Eurovision Song Contest.

Sollte die polnische Führung Kontrolle über öffentliche Medien ausüben, könne das Land von diesem Wettbewerb ausgeschlossen werden, so der EBU-Präsident Jean-Paul Philippot. Bereits im Dezember hatte die EBU den polnischen Präsidenten Andrzej Duda aufgefordert, den von der Regierung eingebrachten Entwurf nicht zu unterschreiben, da er die Integrität und Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien als Symbol eines freien und demokratischen Land gefährde. Vergeblich, denn mittlerweile ist das Gesetz in Kraft getreten.

Auf die Brüsseler Kritik reagierte die polnische Regierung bislang gelassen. Die Anschuldigungen der Kommission seien ungerechtfertigt und lasse linke politische Motive erkennen. Ähnlich argumentierte Ungarn, als deren Präsident Orban vor einiger Zeit versuchte, ein vergleichbares Mediengesetz durchzudrücken, dann aber zurückruderte. Doch ein Blick auf die parteipolitische Landkarte Europas lässt erahnen, dass künftig mit weiteren rechten Vorstößen zu rechnen sein wird. Zweifelsfrei werden sich diese auch auf die bislang heile, liberale ESC-Welt auswirken.

Doch vorerst zurück zu den Polen: Jacek Kurski, PiS-Politiker, selbsternannter „Bullterrier“ und neuer Chef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP, gilt laut politico.eu schon jetzt nicht gerade als Freund des ESC. Conchita Wurst, Siegerin des Contests 2014, bezeichnete er als „einen Kerl, der sich ein Kleid anzieht und einen Bart aufklebt“. Dessen Auftritt habe „elementare Prinzipien des guten Geschmacks sowie die Prinzipien der polnischen Familie verletzt“.

Wir erinnern uns: Im selben Jahr entsandte Polen dralle, spärlich bekleidete Bäuerinnen auf die eurovisionäre Kopenhagener Bühne, damit sie dort zur Freude aller sabbernden Heten Europas Butter stampften und Wäsche schrubbten. Vermutlich war Herr Kurski von diesem geschmackvollen Auftritt begeistert.

Indes, die Mühlen der Verwaltung mahlen bekannterweise langsam, daher ist mit Sanktionen seitens der EBU für den kommenden Wettbewerb wohl kaum zu rechnen. Bleibt also abzuwarten, welchen familienfreundlichen Beitrag Polen im Mai nach Stockholm schicken wird. Denn dieser soll senderintern, ganz ohne öffentliche Befragung der heimischen Zuschauer, bestimmt werden…

Update: Heute Abend übrigens hat die EBU prompt ihr forsches Auftreten dementiert: Monsieur Philippot habe sich in dem besagten Interview versprochen. Die EBU ziehe nicht in Betracht, die polnischen Sender (unter ihnen TVP) auszuschließen. Vielmehr sei ihr daran gelegen, mit den assoziierten Mitgliedern zusammen zu arbeiten. Polens Teilnahme am diesjährigen Song Contest sei sicher.

So gehört sich das auch in unserer schönen neuen Welt.

Foto: EBU / Andreas Putting

Einmal ist keinmal

Groß war die Überraschung ja nun nicht gerade, als die EBU heute Nacht vermeldete, dass Australien auch am Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm teilnehmen darf. Bereits vor einer Woche hatte EBU-Supervisor Jon Ola Sand bei einem Treffen der Reference Group eher beiläufig die ominöse „41“ als Teilnehmerquote ins Spiel gebracht. Das wiederum sollte die ESC-Fangemeinde in den nachfolgenden Tagen schier um den Verstand bringen, spekulierte sie doch fortan gleichermaßen munter und sehnsüchtig eine Bestätigung Kroatiens, Luxemburgs oder Bosnien-Herzegowinas herbei. Ganz Wagemutige hielten es gar für möglich, dass der Libanon plötzlich Lust am europäischen Wettsingen entwickelt habe (nun ja, er hat ja auch keine anderen Probleme…).

Den Realisten aber war längst klar, dass die angeblich einmalige Einladung der Aussies zum Wiener Wettbewerb 2015 beileibe keine Ausnahme bleiben sollte – jüngstes Indiz: deren Anmeldung zum Juniorvision Song Contest vor einigen Wochen. Und nun? Wie schon Anfang des Jahres tobt ein lauter Aufschrei durch die Sozialen Netzwerke, denn der eurovisionäre Kosmos ist manchmal doch nicht so großherzig wie die echte Welt dieser Tage, wo alle Frankreich, zumindest aber Paris sein wollen. Erneut ist da zu lesen, dass das Land Down Under ganz einfach nicht zu Europa gehöre und deshalb gefälligst auch bei sich da unten singen solle. Alle Gegenargumente, von wegen der gemeinsamen kulturellen Verwurzelung und der abgöttischen Liebe der Australier zum ESC – uns doch egal! Stattdessen schallt der Ruf nach einer kontinentalen Gesangsfestung durchs Netz, damit der Wettbewerb, dem ach so gerne eine grenzenlose Toleranz attestiert wird, auf immer und ewig unter sich bleiben dürfe.

Nun wissen wir, das darf er 2016 gleichfalls nicht. Und vorerst ist das auch gut so, meint der eurovisionaer, denn der fünfte Kontinent ist grundsätzlich eine Bereicherung für einen zuletzt zunehmend inzestuösen ESC, noch dazu nimmt er keinem der Urahnen einen Startplatz weg. Schließlich werden die hingebungsvollen Aussies dieses Mal (anders als noch in Wien) keine Freikarte fürs Finale bekommen, sondern wie (fast) alle anderen erst einmal ein Semi überstehen müssen. Außerdem: Austragen dürften sie im Fall eines Sieges wegen des unvorteilhaften Zeitzonendings auch nicht, sondern müssten sich einen europäischen Ko-Produzenten suchen. Also alles tacko, oder?

Meh, denn Blogger ist trotz der frohen Neuigkeiten ebenfalls im Meckermodus. Ihn nervt das Gehampel der EBU, die auch jetzt wieder behauptet, es sei noch nicht sicher, ob die erneute Teilnahme Australiens eine Ausnahmeregelung oder eben eine langfristige Entscheidung sei (was sie jedoch unter uns ESC-Maniacos gesprochen seit heute zweifelsfrei ist). Abermals wünscht sich der geneigte Fan von seinen Genfer Funktionären nur eins: Konsequenz und Transparenz. Dann wüsste er nämlich auch, was er von diesem Sandschen Zitat halten soll, das wie das Orakel von Delphi anmutet und zeitgleich, nur einige Absätze später per offizieller Pressemitteilung ausgesendet wurde:

„We strongly believe the Eurovision Song Contest has the potential to evolve organically into a truly global event. Australia’s continued participation is an exciting step in that direction.“

Geht es also gar nicht um besagte freundschaftliche und kulturelle Verbundenheit, sondern um Kalkül auf dem Weg zu einer Art Worldvision? Die wiederum im Rahmen einer ESC-Globalisierung die Chance auf bislang ungeahnte neue Vermarktungsplattformen und – in deren Folge – stattliche Gewinne böte? In der Tat wäre dann der Schritt zur Teilnahme Chinas, Japans und der USA ein kleiner. Und der vordergründige Hinweis auf gemeinsame Wurzeln schnell als pure Profitgier entlarvt. Doch naiv, wie der eurovisionaer nun einmal ist, hofft er lieber, dass der umtriebige Ola im stillen Kämmerchen einfach nur fleißig an einem weiteren Wettbewerb bastelt, ohne uns das über die langen Jahre liebgewonnene Spielzeug dann doch auf ewig kaputt zu machen.


Schmierentheater in der EBU

Nachdem sich Volkes Meinung – zwischenzeitlich ein wenig müde vom ewigen Griechenland-Bashing – vor einigen Wochen an der FIFA bzw. an den Nun  gegen deren Präsidenten abreagieren durfte, ist nun die EBU dran. Zumindest in der ESC-Community, denn in Jan Olas Genfer Abteilung rummst es gewaltig. Dessen Kommunikationskoordinator Jarmo Siim, zuständig für den Eurovision Song Contest und dessen Ableger Junior ESC, hat seinen Job gekündigt. Allerdings nicht heimlich, still und leise, sondern erst nachdem bekannt wurde, dass er in jüngster Vergangenheit ganz offensichtlich Stimmung gegen den diesjährigen schwedischen Beitrag – und späteren ESC-Sieger – „Heroes“ gemacht hatte.

Als die EBU Belege für die Anschuldigungen einforderte, fackelte die schwedische Boulevardzeitung Aftonbladet (normalerweise weniger für investigativen Journalismus bekannt) nicht lange und legte diese nun vor einigen Tagen auf den Tisch. Kern der Querelen ist ein Facebookchat, in dem sich Siim angeblich mit einem (bislang anonymen) griechischen „ESC-Journalisten“ über die Ähnlichkeit von „Heroes“ zu dem David-Guetta-Titel „Lovers in the Sun“ austauschte. Offensichtlich waren sich beide einig, den Schweden eins auszuwischen, denn Siim beendete den Gedankenaustausch mit folgender Nachricht: „“Unter uns, mach mit den Angriffen gegen das schwedische Lied weiter und setze uns unter Druck!”

Wie wir heute wissen, hat es dem skandinavischen Sänger Zelmerlöw nicht geschadet, (denn jeder ESC-Fan mit halbwegs funktionierenden Ohren wußte längst, dass sich die schwedischen Autoren sehr ungeniert bei Herrn Guetta bedient hatten), wohl aber dem Presse-Chef des Song Contests. Der wies zuerst noch alle Vorwürfe von sich und behauptete, sein Account sei gehackt worden, zog dann aber Anfang dieser Woche doch die Konsequenzen. Möglicherweise nicht ganz freiwillig, zeugt doch das Chatprotokoll über den beanstandeten Inhalt hinaus von einer mehr als vertraulichen Ebene zwischen EBU-Offiziellem und Pressevertreter.

Zu allem Übel will nun Christer Björkman, schwedischer Delegationsleiter und Hans-Dampf in allen eurovisonären Gassen, das Thema beim heutigen Treffen der Reference-Group auf die Tagesordnung bringen. Die sollte eigentlich den Song Contest 2016 vorbereiten, muss aber nun wohl erst einmal Ordnung in den eigenen Laden bringen. Es steht also zu vermuten, dass das anstehende ESC-Sommerloch noch ausreichend Raum für weitere Negativ-Schlagzeilen liefern könnte.

Grafik: EBU

Je suis Oh-Stralia!

OH_STRALIABreaking News in Eurovisionia! Australia darf entgegen des gesamten EBU-Regelwerks ein einziges Mal nicht nur zuschauen, sondern auch mitsingen, segelt direkt ins Finale und darf in zwei Semis werten! Das ist zu viel für die eurovisionäre Fan-Seele, die lauthals „Skandal!“ schreit, weil ihre kleine Welt aus den Fugen gerät, als gäbe es auf diesem Planeten nichts Wichtigeres zu reklamieren …

So what? Jon O-la-la hat schon recht, wenn er zur größten europäischen Party so richtige Partyanimals einlädt, die an der traditionsreichen Sause offensichtlich Spaß wie Bolle haben. Die nicht verkniffen nach nachbarschaftlichen Verhältnissen, sondern nach individuellem Geschmack werten. Für die der Wettbewerb nicht alljährliches Pflichtprogramm ist, das der NDR man mal eben runterspult. Die nicht allein deswegen dabei sind, weil sie ein scheinbar anderweitig nicht zu befriedigendes nationales Ego zur Schau stellen müssen.

Und die die Kosten, an denen sie sich wohl oder übel beteiligen müssen, nicht bejammern, wie so mancher, der in den vergangenen Jahren bzw. Monaten wegen genau dieser seinen Rückzug erklärte. Ein kurzer Exkurs: Kürzlich wurde bekannt, dass Spanien, immerhin Mitglied der elitären Big-5 und daher einer der größten Einzahler, für den Wiener Contest 356.000 Euro bezahlen muss (kleinere Staaten wie z.B. Rumänien steuern angeblich knapp über 100.000 Euro bei). Dafür füllen die Spanier, wie alle anderen Mitspieler auch, über sieben Stunden Sendezeit und erzielen aller Wahrscheinlichkeit nach am fernsehheiligen Samstagabend eine mega Einschaltquote. Ein Vergleich aus deutschen Landen – „Wetten, dass“ kostete ca. 2 Mio. Euro. Auch auf die kleineren, schwächeren Länder der EBU heruntergebrochen, handelt es sich beim ESC also entgegen aller Gerüchte um ein relativ kostengünstiges Programm, das zudem Eventcharakter hat, für Schlagzeilen sorgt und die heimische TV-Nation einbindet und aufwühlt. Wollen wir also bei der Wahrheit bleiben: Wer da nicht mitspielen mag, ist mittlerweile EU-Mitglied hat einfach keine Lust mehr, anstatt – wie vorgeschoben – keine ausreichenden finanziellen Mittel. Nun aber wird genau diese Karte gezogen: Bulgarien, Kroatien, Bosnien und andere müssten zu Hause bleiben, weil die EBU bestimmte Nationen – noch dazu außereuropäische! – in Hinterzimmern hofiere.

Das ist kleinkariert gedacht und verkennt die Werte, die die Show seit ihren Anfängen in den 50er Jahren hoch hält: sich für einen Abend im Mai vor den Fernsehern europa- (und nun halt welt-) weit zu versammeln, in einem kleinen Wettbewerb zu messen, fremde Kulturen besser zu verstehen und einfach einmal ohne Grenzen im Kopf zu denken. Natürlich ist das ein Ideal, das der Wirklichkeit nicht immer standhält. Natürlich werden auch die Aussies allein aus purem Nationalstolz ihr Bestes geben wollen. Aber jetzt den Spielverderber rauskehren, auf Regeln pochen, die angeblich nicht mehr gehalten werden, das zeugt von platter Rechthaberei und einfältiger Intoleranz. Beides gibt es im wahren Leben schon zur Genüge und allein daher hat es nach Ansicht des eurovisionaers bei seinem Lieblingsfestival nun rein gar nichts zu suchen.

Die EBU hat in den vergangenen Jahrzehnten häufig genug an starren, dösigen Regeln festgehalten und so zum Beispiel die wunderbare Amina 1991 um einen mehr als verdienten Sieg gebracht. Ist es nicht schön, dass selbst die Funktionäre jetzt im 60. Jubiläumsjahr die Freude am Spielen für sich entdeckt haben und – ganz altersweise – ein wenig nachsichtiger werden?

Grafik: eurovisionaer


Sydney, may we have your Votes, please?

Das isn Ding! Wie eurovision.tv heute bestätigte, wird Australien beim kommenden Song Contest 2015 mitsingen, mitvoten und mitfiebern. Grund hierfür sei ausnahmsweise der 60. Geburtstag der alten Lady Eurovision, für den die EBU – offensichtlich grad in Champagnerlaune – mal alle Augen feste zudrückt. Nun hat sich der eurovisionaer ja schon oft genug – und nicht grundlos – über diesen Genfer Bürokratenhaufen aufgeregt, dass es endlich einmal an der Zeit ist, die heutige Entscheidung uneingeschränkt zu loben: wunderbar! Und sehr sympathisch obendrein, wenn deren Chef Jon Ola Sand erklärt: „Es ist unsere Art zu sagen, lasst uns die Party zusammen feiern!“

Australien wird ohne Umweg über ein Semifinale als siebtes gesetztes Land (neben Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Österreich) direkt im Finale starten, was dieses auf beinahe unüberschaubare 27 Teilnehmer anwachsen lässt. Allerdings soll die spontane Einladung lediglich für dieses Jahr gelten – es sei denn, das Land Down Under würde in Wien auch noch den Sieg einfahren: Dann wiederum wäre Australien ebenfalls in 2016 startberechtigt, müsste den Wettbewerb jedoch – schon allein wegen der Zeitverschiebung und der Reisekosten für den ESC-Tross – gemeinsam mit einem europäischen Partner auf dem alten Kontinent veranstalten.

Den Aussies, die als besonders ESC-verrückt gelten und das Wochenende um das Grand Final recht putzig als “Happiest Weekend of the Year” bezeichnen, ist die Freude über die Ausnahmeregelung von Herzen zu gönnen. Und vor dem Hintergrund, dass zum Beispiel die Iren nach Veröffentlichung ihrer Vorentscheidungsbeiträge gerade überlegen, ob es schicker ist, gleich im Semi auszuscheiden, als Letzter im Finale zu werden, das Mello der Schweden nur noch ein einziger Plastikmüllhaufen ist und auch sonst viele Nationen eher ESC-müde zu sein scheinen, kann ein frischer Wind dem in die Jahre gekommenen Song Contest nur gut tun. Danke EBU und Welcome Australia!

Übrigens schwillt dem eurovisionaer der Kamm, wenn er so hört, was Hardcore-Fans von diesen Breaking News halten: „Je suis Oh-Stralia!“


Die Eurovision feiert ihre Greatest Hits

60th anniversaryMit viel Diggi-loo und Shalala wird die EBU-Jubiläumsshow anlässlich des 60. Geburtstags des Eurovision Song Contests am 31. März im Apollo Hammersmith in London über die Bühne gehen. In einer Art Retrovision werden verdiente Veteranen wie beispielsweise Lordi, die schwedischen Herreys, selbstverständlich Everybody’s Darling Conchita und sogar unsere Pizzaliebhaberin Nicole auf der Bühne stehen und an die großen Momente des Songfestivals erinnern. Derweil gibt sich der ursprünglich als Veranstalter vorgesehene und nun von der BBC abgehängte NDR recht schnippisch. Sein Haus- und Hofkommentator Jan Feddersen ätzt, das Konzept sei verstaubte Nostalgie und locke niemanden hinterm Ofen hervor.

Ja, natürlich ist das voll retro, aber der eurovisionaer, der sich für seinen Lieblingsschlagerwettbewerb grundsätzlich gerne ein wenig Modernität wünschte, wundert sich dann doch über diese typisch deutsche Überheblichkeit. Wann, wenn nicht bei einem Jubiläum, schaut man ein wenig wehleidig in die Vergangenheit und erinnert sich an die schönen Momente? Zumal die Briten, die Graham Norton und Petra Mede als Gastgeber verpflichtet haben, der Show mit dem ihnen eigenen Humor vermutlich schon den passenden Stempel voller Selbstironie aufdrücken werden.

Zwanzig Länder haben bislang zugesagt, die Veranstaltung irgendwann im Frühling im Vorfeld der diesjährigen Wiener Contestausgabe auszustrahlen. Der NDR spielt unterdessen die Leberwurst und überlegt noch. Tse…

Grafik: eurovisionaer / Logo: EBU

Ola gibt ne Party

60th anniversaryZwar steht eine offizielle Bestätigung noch aus, aber einige Eurovisionäre erzählen sich, dass die EBU zum 60. Geburtstag des ESC ne Party schmeißen will. Überraschenderweise lädt sie jedoch nicht nach Hause, also nach Genf ein, was ja naheliegend wäre, sondern nistet sich bei der alten Tante BBC ein, die dafür die Royal Albert Hall in London auf Vordermann bringen muss. Ursprünglich hatte sich der NDR angeboten, diesen Job in Berlin zu erledigen, allerdings war sich die deutsche Hauptstadt dann aber doch mal wieder zu fein für solche intellektuell flachen Kinkerlitzchen (wir erinnern uns an 2011, als letztlich Düsseldorf zum Austragungsort auserkoren wurde). Nun also dürfen die Briten ran, wahrscheinlich auch, damit sie nicht vergessen, wie es sich anfühlt, einen Song Contest zu organisieren.

Die Londoner Fernsehshow, für die bislang noch kein Termin genannt wird, soll von dem BBC-Kommentator Graham Norton und Petra Mede, ESC-Präsentatorin in Malmö 2013, moderiert werden. Ob sie ähnlich müde wie die Kopenhagener Sause 2005 zum Fünzigsten daherkommt, als selbst Nicole lieber ne Pizza essen, denn in die dänische Metropole reisen wollte, bleibt ebenfalls abzuwarten. Grafik: EBU / eurovisionaer