Noch Tage nach der fetten Blamage ist die Zero-Points-Bauchlandung der deutschen Vertreterin Ann Sophie Thema der heimischen Berichterstattung. Doch das einhellige bundesrepublikanische Lamento über die ESC-Höchststrafe und die sich anschließende Selbstbeweihräucherung nerven den eurovisionaer mit jeder Zeile, die er liest. Pech habe sie, die nationale Hoffnung, gehabt, toll und professionell sei sie gewesen und der Song selbstredend von ausnehmender Qualität. Und trotzdem war das alles nicht gut genug für Europa?
Es ist erbärmlich, jetzt darüber zu streiten, wer von den beiden Null-Pointern, ob Österreich oder Deutschland, nun auf den letzten Platz gesetzt werden sollte. Es ist verräterisch, wenn sich plötzlich eine für unser Selbstverständnis typische Diskussion damit beschäftigt, ob das Punktesystem noch zeitgemäß ist, wo es uns doch lange Jahre einen feuchten Dreck geschert hat. Es werden Rechenspiele betrieben, die in ihrer Absurdität kaum zu unterbieten sind: Nur um den Preis, dass die deutsche Sirene bei irgendeinem irgendwo um einen unauffälligen Platz 20 gerankt wird und die nationale Schande offenbar ein wenig erträglicher ist? It sucks!
Ebenso wie der Urbansche Kommentar in jener Nacht, der erst die Blaupause für alle sich anschließenden Rechtfertigungsbemühungen einer aus deutscher Sicht von Anfang an verkorksten ESC-Saison abgab. Denn auch der vertraute ESC-Flüsterer stotterte sich wie gewohnt durch seine Kommentarkarten, um völlig erschrocken zu konstatieren, dass in dem 27-er Feld einfach viel zu wenige Punkte verteilt wurden, um die Deutschen in ihrer Gier nach internationaler Anerkennung halbwegs zu befriedigen. Dass die wieder einmal nichts gewagt hatten, dass die “modernen” Sounds, die er bei der lettischen Aminata noch hochtrabend (und recht gönnerhaft) gelobt hatte, bei der nationalen Vorentscheidung in Personae der Ladiesband Laing aber überhört bzw. abgestraft wurden – egal.
Statt dessen wurde in bekannt großmännischer Manier auf alles eingeprügelt, was sich noch schlechter als das heimische Angebot gerierte. Großbritannien, laut Herrn Urban die führende Popnation Europas, schickte statt eines angeblich in London an jeder Ecke zu findenden zeitgemäßen Popacts eine lahme Swingkopie in Österreichs Hauptstadt. Russland wußte er – ganz regierungskonform – als scheinheiligen Putinschen Friedensappell zu verunglimpfen, um sich kurze Zeit später über die mittlerweile ach so böse Song-Contest-typische Verquickung von Unterhaltung und Politik zu empören. Peinlich.
Der eurovisionaer hätte genügend Grund gehabt, in diese Ätzerei einzustimmen – scheiterten doch an jenem Finalabend all seine Favoriten aus Slowenien, Estland und Norwegen ebenso an ihren eigenen Ansprüchen wie auch die von Kümmerts Gnaden Getriebene. Doch was nutzt es, auf beleidigte Leberwurst zu machen oder die Besserwisserkeule zu schwingen? Nichts! Der ESC ist halt jedes Jahr auf’s Neue ein Spiel mit Gewinnern und Verlierern, das – niemals gerecht und stets von persönlichen Geschmäckern abhängig – trotzdem unbändigen Spaß macht.
Wer jedoch in diesem erlesenen Kreis hochdotierter Player einigermaßen sympathisch rüber kommen möchte, sollte sich vielleicht, lieber NDR, hinsichtlich der (subjektiv empfundenen) Ungerechtigkeiten dieser Welt bedeckt halten und sich in seinem Unmut zuallererst mal an die eigene Nase fassen.
Foto: eurovisionaer