Auf der Suche nach der ultimativen Siegesformel hat die seit 2012 vom ESC-Virus infizierte Greta Salóme die Violine beiseitegelegt und sich während der dunklen Reykjaviker Wintermonate fleißig durch die Wettbewerbshistorie gezappt. Schwupps gerät die Bühnenpräsentation ein wenig zelmerlöwig, die Strophen werden mit einer Prise Loreen-Murmeln gewürzt und den Refrain leiht sich die raffinierte Isländerin gleich komplett bei ihren Landsleuten „Of Monsters and Men“. Die haben zwar keine Song-Contest-Erfahrung, allerdings ein Händchen für einprägsame Melodien. Fertig ist der Fanfavorit, dem in Stockholm gute Chancen eingeräumt werden. Dem mag sich der sonst so argwöhnische eurovisionaer gerne anschließen – obschon – eine Siegerin, die so wenig Eigenständigkeit mitbringt, wünscht er sich dann doch nicht.
Exakt vier Wochen sind es noch bis zum Einsendeschluss aller Wettbewerbsbeiträge 2015. Dann muss der vermeintliche ESC-Siegertitel beim Jon-O-la-la auf dem Tisch liegen. Doch ach, mittlerweile gilt es als schick in Eurovisionia, dem nationalen Finale mindestens drei bis vier Vorrunden zu gönnen, manche ESC-Enthusiasten strecken ihre Vorauswahl gar wie Gummi auf über acht Ausgaben, was jedoch eher zu starkem Unwohlsein als zu einem qualitativen Mehrwert führt. Besonders im Februar – vornehmlich samstagabends – knubbeln sich daher die Entscheidungen quer über den Kontinent, weshalb ganz einfallsreiche Fans von den „Super Saturdays“ sprechen.
Glücklich sind dann die, die über Satellitenschüsseln verfügen, wie sie sonst nur die NASA besitzt. Alle anderen basteln bunte Timelines, surfen im Netz von Stream zu Stream und ärgern sich, wenn der ganze Kladderadatsch ständig zusammenbricht. So wie der eurovisionaer, der sich auch mal wieder einen sssuper Sssamstag erlaubt, weil seine diesjährigen Helden Elina & Stig das Semifinale des immer wieder wunderbaren Eesti Laul überstehen müssen. Zur gleichen Zeit ist man in Reykjavik schon einen großen Schritt weiter, denn dort singen die sieben Finalisten in einem recht tristen Kinosaal bereits um das begehrte Ticket nach Wien (die prächtige Harpa war aus unerfindlichen Gründen – wie die auf der Insel gerade wandernde Frau S per SMS zu berichten weiß – offensichtlich anderweitig gebucht). Und wiederum Tausende Kilometern weiter südlich sind aufgeregte italienische Floristen vermutlich bis zur letzten Sekunde damit beschäftigt, imposante Blumengebinde zu fabrizieren, um dem traditionellen Sanremo-Festival, das zum großen Finale einläd, besonderen Glanz zu verleihen. Da dort erfahrungsgemäß aber mehr palavert denn gesungen wird, bleibt sogar noch ein wenig Zeit für das von vielen so heiß geliebte schwedische Mello, das wiederum just eine Vorrunde mit Unmengen von Pomp, Puscheln und Playback in der Malmö Arena feiert.
Mehr Multitasking schafft der eurovisionaer nicht, der sich ein wenig verdutzt fragt, wie es den ganz Unermüdlichen gelingt, sich derweil auch noch in Litauen und Ungarn zuzuschalten. Für den Song-Contest-Laien: ein Online-Vorentscheidungsabend im Februar ist so ähnlich wie eine Bundesliga-Konferenz-Schaltung auf SKY, allerdings mit dem Unterschied, dass man Kommentar und Bildregie selbst übernehmen muss. Erfahrene Super-Samstag-Zuschauer haben da wohl über die Jahre ein feines Näschen entwickelt, wann es wo gerade langweilig wird und – schwupps – beamen sie sich mit einem Mausklick mal eben von Tallinn nach Budapest. Ungeübte aber bleiben zu lange beim isländischen Werbeblock hängen oder lauschen den Fachurteilen der estnischen Experten, von denen sie letzten Endes doch kein einziges Wort verstehen.
Egal, Elina & Stig sind großartig und segeln sicher in die nächste Runde, womit man nicht unbedingt rechnen durfte, kennt man mittlerweile doch das zuweilen recht spleenige Abstimmungsverhalten eben jener – die übrigen elf Monate des Jahres wahrscheinlich arbeitslosen – Juroren in Estland. Ortswechsel: Im isländischen Kinosaal wird im Ssssuperfinali eine schamlose, jedoch freudestrahlende Emmelie-de-Forrest-Kopie auserkoren, nach Wien zu reisen, wenngleich es bessere, weil ESC-untypische Töne gab. Aber auch schlimmere… Apropos: Den schwedischen Schlagerkarneval hält der eurovisionaer nur wenige Minuten aus und klickt dann völlig entnervt das Streaming-Fenster weg. Informationsbegierige Leser dieses Blogs seien an fachkundigere, weil nicht so voreingenommene Berichterstatter verwiesen.
Bleibt also noch das italienische Festival della Canzone! Mit seinen unzähligen Interviews, Werbeunterbrechungen, Interviews, Gastauftritten, Interviews und bunt eingestreuten Schnelldurchläufen garantiert es alljährlich einen Showspaß bis in die frühen Morgenstunden. Da der eurovisionaer den munteren Abend allerdings mit mehreren Gläschen Rotwein begossen hatte, kann er auch hier nur bedingt einer gewissen Chronistenpflicht nachkommen. Er beschränkt sich daher auf das Wesentliche: Italien erklärt irgendwann weit nach Mitternacht den Knödeldreier Il Voro, der nunmehr als die jungen Tumore in die ESC-Geschichte eingehen wird, zum Sieger. Na denn Prost!