Genug ist genug

Genug ist genug

Es reicht! Stop! Halt! Hilfe! Wir ertrinken in einem Meer von Balladen! Wie so viele Fans, will auch der eurovisionaer am 13. Mai nicht eine tränendurchströmte Beerdigung, sondern eine fette Schlagerparty besuchen.

Und was guckt sich Europa – häufig mit tatkräftiger Unterstützung seniler Preisgerichte – landauf, landab aus? Von Schmerz verzerrte Sänger, wohin man nur schaut, die sich offenbar in elendiger Traurigkeit mit musikalischem Wehklagen gegenseitig überbieten wollen.

Ist es Aberglaube, sind es neumodische Fakenews, dass nur noch das getragene Liedgut eine Chance auf eine ESC-Topplatzierung hat, seitdem Expertengremien wieder zur Hälfte mitbestimmen dürfen? Papperlapapp! Diggy-Loo Diggy-Ley, Lalala und Waterloo entgegnet da der Chef du Blog. Allesamt Sieger von Jurys Gnaden, die zwar nicht immer die Charts stürmten, aber mit griffigen Textzeilen und fröhlichen Melodien das goldene Zeitalter des ESC dominierten.

Und nun – Schwermut in nahezu jeder Strophe! Noch stehen trotz gefühlter 329 Balladen erst 14 Beiträge für Kiew fest, doch es steht zu befürchten, dass ein unerklärlicher Trend durch die mit blanker Verzweiflung geschwängerten europäischen Wohnzimmer zieht.

Genug ist genug, ruft der eurovisionaer diesen Spaßverderbern zu, die an irgendwelchen Televotingknöpfen schrauben, um kollektive Freudlosigkeit zu verbreiten. Offensichtlich haben sie vergessen, dass wir im Mai eines jeden Jahres ein buntes Schlagerfestival feiern und nicht die Werkschau des anspruchsvollen Liedgutes zelebrieren wollen.

Glücklicherweise gibt es da noch den Gorilla mit seinem italienischen Buddy. Ihr werdet schon sehen! Namaste! Alé!


Mailand oder Madrid? Hauptsache Italien!

Neulich schiebt der eurovisionaer den Silberling mit dem 1990er Jahrgang in den DVD-Player. Das ist so eine Art Methadonprogramm, welches sich während der nachrichtenarmen ESC-Vorsaison als recht probates Mittel erweist, die Symptome des harten Song-Contest-Entzugs ein wenig abzumildern.

Eingefleischte Fans wissen: Trotz ihres Alters erfüllt die Zagreber Ausgabe immer wieder ihre beruhigende Wirkung, bietet sie doch ein für damalige Verhältnisse relativ modernes musikalisches Spektrum. Vorausgesetzt, der Zuschauer skippt die besonders übel aufstoßenden zuckersüß-pathetischen Hymnen, die den Wettbewerb seinerzeit als Folge des wenige Monate zuvor Europa euphorisierenden Mauerfalls überschwemmt hatten. Ähnlich entzückt freut sich der Blogger 25 Jahre später auf der heimischen Couch über ein Wiedersehen mit seinen eurovisionaeren Lieblingen aus Frankreich, Israel und Spanien. Letztere haben schon allein wegen der leidigen Playbackpanne ewige Berühmtheit erlangt und sind bekanntermaßen aus kaum einen ESC-Rückblick mehr wegzudenken.

Der eigentliche Skandal des Song Contests 1990 jedoch wird in allen Retrospektiven brav unterm Deckel gehalten, was gerade heutzutage, wo eifrig über die Intransparenz der EBU gestritten wird, ein wenig nachdenklich stimmt.

Das Voting ist damals am 05. Mai in vollem Gange, als Italien als 19. Jury aufgefordert wird, seine Punkte zu vergeben. Und nach einer kurzen Pause meldet sich der ein wenig schwerfällig in den Redefluss kommende Sprecher der RAI-Jury mit den Worten „Voici les résultats du jury espagnol“.

Helga, unvergessene Gastgeberin des kroatischen Fernsehens, schaut sofort verschreckt zu ihrem Co-Moderator Olivar herüber, der aber überspielt den Lapsus nicht etwa nonchalant, sondern hakt recht ungeschickt nach: „Aber das ist doch die italienische Jury, oder?“ Das Reaktionsvermögen des offensichtlich alkoholisierten Jurysprechers scheint mittlerweile jedoch komplett außer Kraft gesetzt zu sein, er wertet munter weiter, bis schließlich Frank Naef, Offizieller der EBU, ihn auffordert, einfach von vorne zu beginnen. Das tut er prompt und entschuldigt sich lapidar mit einem „technischen Problem“. Was folgt ist eine eigentümliche Wertung, während der der spätere Sieger Italien für seine direkten Konkurrenten Frankreich und Irland keinen einzigen Punkt rausrückt.

Der Vorfall wird danach nie wieder thematisiert. Lediglich in einigen Fanforen (Link zwischenzeitlich entfernt) raufen sich seitdem eurovisionäre Verschörungstheoretiker zusammen, die behaupten, Italien habe für den Contest gar keine Jury abgestellt (was einen nicht sonderlich verwundert, denkt man wiederum an die Organisation des Folgewettbewerbs 1991 in Rom zurück). Infolgedessen habe die EBU gemeinsam mit dem verantwortlichen jugoslawischen Sender JRT mir nichts dir nichts beschlossen, eine Handvoll Zagreber Studenten in einem Nebenraum mit vornehmlich dalmatinischem Rotwein zu bewirten und einfach als italienische Jury auszugeben. Dass diese dann unter steigendem Pegel bald nicht mehr gewusst habe, ob sie nun aus Italien oder Spanien komme – kann passieren.

Eins ist klar: Von der sturen EBU werden wir wohl nie erfahren, was da genau gelaufen ist. Statt dessen können wir von Glück reden, dass der Wettbewerb 1990 nicht so ein enges Rennen war wie noch zwei Jahre zuvor in Dublin. Um allerdings den ESC-Rausch ohne Katerstimmung zu genießen, sollten wir uns besser nicht fragen, wie viele Schaltungen es damals noch in irgendwelche Hinterzimmer der Lisinski-Halle gab.


Ene mene muh – wie wertet eine ESC-Jury?

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Kaum hat Deutschland Conchita Wurst in sein großes Herz geschlossen, schwappt auch schon Empörung durchs Volk und die heimischen Medien mischen munter mit. Quell des Genörgels: die deutsche Jury bestehend aus Sido, Madeline Juno, Andreas Bourani, Konrad Sommermeyer und Jennifer Weist. Sie hätte im Ernstfall – wenn’s nur nach ihr gegangen wäre – der Alpendiva vergangenen Samstag keine Punkte zuteil werden lassen! Skandalös? Okay, offensichtlich verfügte die Kommission über einen anderen Geschmack als die Zuschauer, kann ja mal passieren und sollte respektiert werden. Schließlich ist es Sinn und Zweck eines solchen Gremiums, eine auf Fachkompetenz basierende Beurteilung quasi als Komplementär dem Willen der Allgemeinheit entgegenzusetzen. Seitdem die EBU jedoch in diesem Jahr erstmals alle detaillierten Bewertungen veröffentlicht hat, sind Nachfragen nicht nur gegenüber dem NDR-Ausschuss angebracht.

Wie setzt sich überhaupt eine solche Jury zusammen? Laut EBU sollen es Musikschaffende sein, also sind Sänger, Komponisten, Texter oder gar DJs erwünscht, nicht aber Journalisten oder Wissenschaftler. Die Jurymitglieder bewerten folglich ihre eigene Zunft. Dennoch, der NDR hat regelkonform besetzt, lediglich über eine fehlende Stilrichtungsbandbreite innerhalb der fünfköpfigen Gruppe mag man streiten.

Nach welchen Kriterien wird gewertet? Das weiß außerhalb der EBU niemand. In ihren Regularien bezieht sie sich auf ein so genanntes „Green Document“, das sich die Juroren zu Gemüte führen müssen, dessen Inhalt der interessierten Allgemeinheit jedoch verwehrt bleibt. Vermutlich aber gibt es dort klare Anweisungen, zum Beispiel Diaspora-Votingerfolge zu verhindern. Beleg hierfür: das belgische Voting für Armenien. Im Juryranking auf Rang 25, bei den Anrufern auf Platz 1; das ergibt in der Summe Null Punkte für den Kaukasusstaat. Ähnlich werden die Griechen und Russen – nicht erst seit diesem Jahr – herunter gewertet, insbesondere seitdem die Jurys ein komplettes Ranking von Platz 1 bis 26 erstellen, der Televoter aber natürlich nicht. Machen sich die Juroren damit nicht zum Instrument einer hinter verschlossenen Türen ausgeklügelten Wahlfälscherei?

Werden überhaupt konkret musikalische Kriterien als Bezugsrahmen benannt, nach dem bewertet werden soll? Nein, es geht nicht um besonders pfiffige Texte oder ausgeklügelte Kompositionen, andernfalls hätte die deutsche Jury wohl kaum das relativ nichtssagende Liedchen „Cliché Love Song“ aus Dänemark kollektiv (!) auf Platz eins gesetzt. Oder gar Ralph Siegels Möchtegern-Opus „Maybe“ nahezu einstimmig auf den letzten Platz verbannt, was belegt, dass hier persönliche Vorlieben wohl eher den Ausschlag geben. In der Konsequenz zählt also der Geschmack von fünf Szeneyoungstern ebenso viel wie der von Millionen von Televotern.

Dürfen sich die Preisrichter untereinander abstimmen? Vergleicht man die Wertungen aller Nationen, fällt häufig (nicht nur bei der deutschen Vorliebe für dänischen Schlager) eine seltsame Einstimmigkeit im Ergebnis auf. Nichts mit kontroversen Diskussionen der Experten, das Votingsheet dabei lautstark argumentierend in die Luft fuchtelnd. Geheim sind die Entscheidungen daher offensichtlich nicht, wenngleich die EBU Unabhängigkeit einfordert – was auch immer das in dem Kontext bedeutet. Aber Achtung! Man darf das System der Schieberei nicht überreizen, siehe Georgien, wo das Gremium ein identisches Ranking für Platz eins bis acht auf den Tisch legte. Ein Ergebnis, das von dem EBU-Schiedsrichter Ola Sand umgehend annulliert wurde, was wiederum für Aufsehen sorgte. Etwas cleverer war dagegen der Jurytrupp aus Aserbaidschan, der lediglich seine Abneigung gegen armenischen Dubstep und sein Faible für russische Popschlager kund tat – einhellig! Ähnliche Beispiele finden sich auch in den Entscheidungen aus Armenien, Belarus oder Moldau und und und, die die Idee eines fairen Wettbewerbs ad absurdum führen.

Und zu welchem Zeitpunkt werten eigentlich die Jurys? Am Freitagabend. Für sie wurde die Generalprobe in Jury Finale umbenannt. Allerdings wird diese nicht im Fernsehen übertragen. Der gemeine Televoter darf bekanntermaßen erst am Samstag ran. Also ist das ESC-Herzstück, das kultige Voting, ein von der EBU raffiniert gemixter Obstsalat, für dessen Rezept 50% Äpfel und 50% Birnen benötigt werden. Denn, hat beispielsweise die osteuropäische Diva mal einen schlechten Probenabend, reiben sich einen Tag später die Televoter verwundert die Augen, wenn sie erfahren, dass die Jury ihren Liebling gnadenlos abgestraft hat.

Es war also so einiges faul letzten Samstag im Staate Dänemark, auch wenn die EBU nach den jüngsten Televotingmanipulationsvorwürfen stolz ihre neue Transparenz propagiert. Interessant auch, dass der ganze Juryaufwand eigentlich gar nicht nötig wäre, denn die kaiserliche Wurst hätte selbst im reinen Televoting gewonnen, sogar weitaus überlegener. Also, liebe EBU, erspare uns und unseren C-Promis den Ärger um skandalöse Expertenentscheidungen und fahre eine ganz einfache Schiene: maximal drei Zuschauerstimmen je Telefonanschluss und der böse Diaspora-Ostblock-Spuk hat ein Ende.


Neue Regeln: EBU zieht blank

Rules 2014Es geht also doch! Punkteschiebereien, Abstimmungsabsprachen, Stimmenkauf, schlechte Presse und Fangezeter waren wohl der Grund, dass sich die EBU heute endlich entschloss, das Song-Contest-Regelwerk an einigen Stellen zu überarbeiten. Wie von den Fans schon lange gefordert, soll mehr Transparenz nun plötzlich doch der Schlüssel sein, um Diskussionen über Unregelmäßigkeiten beim Wertungsverfahren ein für alle Mal einzugrenzen. Im Einzelnen handelt es sich jedoch um Änderungen, die hauptsächlich das Juryvoting betreffen:

  • Die Mitglieder der 5-köpfigen nationalen Jurys sollen am 1. Mai 2014 öffentlich benannt werden, zudem müssen die Kommentatoren während der Finalshow die Jurymitglieder namentlich vorstellen. Ebenfalls gilt ab 2014 eine zweijährige Sperre für Juroren – wer also schon einmal 2013 oder 2012 mitgevotet hat, muss nun pausieren (anders als Valentina Monetta).
  • Um die Zusammensetzung der Ergebnisse transparenter zu gestalten, wird im Anschluss an die Show die Wertung eines jeden Jurymitglieds auf eurovision.tv veröffentlicht. Dort werden ebenfalls die sogenannten Splitvotings (reines Jury und reines Televoting) veröffentlicht.
  • Zum guten Schluss soll auf dem bereits genannten offiziellen Onlineportal zusätzlich ein Bereich geschaffen werden, in dem sowohl Jurymitglieder wie auch Zuschauer Wertungsauffälligkeiten melden können.

Die Veröffentlichung aller Ergebnisse ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ob sich künftig jedoch je Land 5 Musikschaffende finden werden, die ihre Wertung dem Internet-Bashing-Mob zur Verfügung stellen möchten, sei dahingestellt. Mary Roos wird nach den Erfahrungen beim diesjährigen deutschen Vorentscheid wahrscheinlich dankend ablehnen. Und der Televotingstimmenkauf ist über diese Regeländerungen weiterhin möglich. Immerhin versprach Ola Sand, Supervisor des ESC, dass noch einige Ergebnisse des Jahrgangs 2013 untersucht werden und die EBU im Falle des Betrugs die Betreffenden achtkantig vor die Tür setzen reagieren werde.

Grafik: EBU

Äpfel und Birnen

äpfel birnenleer
Bereits vor einigen Tagen hat die EBU – wohl auch, um den Dampf aus der von vielen Ländern monierten Punktevergabe zu nehmen – stolz die gesplitteten Ergebnisse des 2013-er Contest veröffentlicht. Erstaunlich, denn so schnell war man in der Genfer Zentrale noch nie! Fans des Wettbewerbs lieben Statistiken und versuchen seit der Wiedereinführung der Jurys als Korrektiv des angeblichen Diaspora- und Nachbarschaftsvotings im Jahr 2009 aus den jeweils separierten Wertungstabellen abzulesen, welche unterschiedlichen Vorlieben Zuschauer und Juroren an den Tag legen (und welche Konsequenzen das auf das Endergebnis hat).

Doch anders als bisher wurde 2013 erstmals ein Ranking erstellt, das alle 26 Finalbeiträge in eine Reihenfolge setzte, welche wiederum erst später in die allseits bekannte Punkteskala 1-12 umgerechnet wurde. Ob nun ein Jurymitglied allen Ernstes begründen kann, warum er oder sie ein Lied auf Platz 18 statt auf 23 setzte, mag ernsthaft bezweifelt werden. Auch haarsträubende Wertungsabsurditäten wie z.B. in Italien, wo Rumänien im Televoting zwar gewann, im Finale jedoch nur einen Punkt erhielt und dementsprechend offensichtlich von der Jury durchgereicht wurde, nähren den Verdacht, dass das neue System nicht so ausgewogen ist, wie es vorgibt zu sein.

Das nun publizierte Splitvoting bezieht sich daher auch nur auf die Gesamtrankings beider Sparten (Zuschauer und Preisrichter) und gibt folglich so gut wie überhaupt keinen Aufschluss darüber, wie die Nationen im Einzelnen abgeschnitten haben. Die totale Vernebelung der Ergebnisse ist wohl mittlerweile auch Sinn und Zweck jeder neuen EBU-Regel, folglich hätte sie sich die Pseudo-Transparenz mit der Herausgabe dieser Abrechnung ebenso schenken können.

Foto: pixabay

Hör wieder Radio

Radio flickr fod tzellosAb morgen, 07. Februar 2013, können Hörerinnen und Hörer diverser „junger Wellen“ mitbestimmen, wer für Deutschland zum ESC fahren soll. Eine Woche lang stehen die – den Eurovisionsnerds längst bekannten – zwölf Acts, die für den deutschen Vorentscheid „Unser Song für Malmö“ nominiert sind, auf den Homepages der Radiosender zur Auswahl.

Das Votum der Radiohörer, das ein Drittel des Gesamt-Ergebnisses ausmacht, soll von den Moderatoren der Hörfunksender innerhalb der Fernsehsendung, die am 14.02.2013 ab 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt wird, übermittelt werden. Ein weiteres Drittel der Entscheidung ergibt das sogenannte Televoting per Telefon und SMS, wohingegen die verbleibenden 33,3 % der Stimmen während der Show von der Jury, bestehend aus Tim Bendzko, Roman Lob, Anna Loos, Mary Roos und Peter Urban, verteilt werden.

Foto: Flickr / Fod Tzellos

Divide et impera

split results 2012Vor wenigen Tagen hat sich die EBU dazu entschlossen, endlich (!) die gesplitteten Endergebnisse des 2012er Contest zu veröffentlichen, ohne damit für größere Verwunderung in der Fangemeinde zu sorgen. Ja, die göttliche Loreen hätte auch ohne Jury gewonnen. Ja, die nervtötenden Babushkis wurden von eben der gnadenlos runter gepunket. Die smarte Nina Zilli war wohl eher eine Freundin der Jury und der türkische Schwubbel-Can ein Favorit der Televoter… Und warum jetzt die ukrainische Gaitana so hoch bei den Experten bzw. der langweilige deutsche Roman so gut bei den gemeinen Zuschauern angekommen ist, möchte ich an dieser Stelle auch nicht weiter hinterfragen.

Wenig Neues also. Selbst die Täuschungsmanöver der Aseris setzen uns nicht mehr in Erstaunen. Bleibt die Frage: Brauchen wir eine Jury-Wertung, nachdem uns Peter Urban seit Ende der Neunziger die Vorzüge des demokratischen Televoting gepriesen hatte?

Ja und Nein. Dieses Jahr wäre es ja nun wirklich glimpflich ausgegangen, aber fürderhin – wer weiß? Nachdem ich lange Zeit den Juries (nicht nur wegen Evelina Sawschenko) mehr als skeptisch gegenüberstand, gewinne ich dieser Variante doch mehr und mehr Positives ab. Mittlerweile funktioniert sie ganz gut als Korrektivum, denn es gibt sie tatsächlich, die Beiträge, die von den Zuschauern auf dem ersten Ohr überhört und nicht beachtet werden bzw. die, die sich unersättlich in unsere Gehörgänge fressen wollen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob sich der Song Contest, wie in diversen Foren gepostet, überhaupt einer neutralen Bewertung unterziehen kann. Es geht nun einmal nicht um höher, schneller, weiter, sondern einzig um den Geschmack einer bestimmten Gruppe von Entscheidern. Ob diese nun einer 5- (wie bisher) oder einer 10-Personen (unsinnigerweise noch einer bestimmten Altersstruktur entsprechenden) umfassenden Wählerschaft zugehörig sind, tut da nicht viel zur Sache.

Diesem Dilemma entkommen kann man nur mit einer einzigen strikten basisdemokratischen Regel: ein Anruf – eine Stimme! Doch die EBU ist (ausnahmsweise?) mal nicht so blöd, sich diesem Diktat zu beugen, denn über die Televoter-Aktien lassen sich wunderbar Einnahmen generieren, die die maroden TV-Sender aller beteiligten Länder auf anderen Wegen nicht aufbringen wollen und können. Und in den 80ern haben wir schließlich kaum auch nicht gemeckert, dass die sturzlangweilige Corinne Hermes und nicht die zumindest damals noch fesche Carola den großen Preis abgesahnt hat….

Grafik: eurovisionaer

Geschafft!

Glaubt man eurovisionären Gerüchten, sollen von der EBU ab 2013 für alle teilnehmenden Nationen Vorentscheidungen verbindlich vorgeschrieben werden. Ob das ein Segen sein wird, sei einmal dahin gestellt. Denn dieses Jahr bedienen sich auffallend viele Teilnehmer einer internen Vorauswahl, bei der Interpret und Song einfach von den TV-Funktionären bestimmt werden. Dennoch muss dieser Verzicht auf demokratische Strukturen gar nicht so schlecht sein, was Beispiele der Vergangenheit belegen (dabei denke man nicht nur an die quäkenden Vorjahressieger aus Aserbaidschan, sondern vielmehr an die geschmackvollen französischen Perlen der frühen Neunziger Jahre…).

Deutschland muss sich natürlich auch in diesem Zusammenhang als Musterknabe Europas präsentieren und hat uns über gefühlte drei Monate mit einer – obschon niemand zuvor etwas verloren hatte – daher von Beginn an überflüssigen Suche gequält, die an Körperverletzung grenzte. Eine manipulierende, weil uns totquatschende Jury hatte nichts besseres zu tun, als jeden der persönlichkeitslosen Kandidaten, der / die halbwegs einen Ton oder eine Gitarre halten konnte (hin und wieder gar gleichzeitig) über den grellgrünsten Klee zu loben, dass einem vor Mitleid wahlweise speiübel werden konnte oder die Tränen in die Augen schossen. Dass der sogenannte Präsident, der sie alle auf dem Gewissen – weil ausgewählt – hatte, dabei selbst Stefan Raab zu dessen schrecklichsten Zeiten übertraf, kann nur daran gelegen haben, dass ihm der Ausflug aus dem Fanta4-Altenheim den letzten Realitätssinn geraubt hat. Gekrönt wurde das Ganze mit der innovativen Blitztabelle, die an anderen Stellen schon ausführlichst kritisiert wurde. Mal sehen, ob sich Pro7 diesen Prototyp von perfider Abzocke patentieren lässt oder schon wie Onkel Dagobert ein Vollbad in den Millionen von abgeluchsten Teenagercents nimmt. Und selbst wenn so viel Cash in die Kasse kommt, warum zum Teufel sollte man es für sympathische Moderatoren oder eine professionelle Begleitcombo ausgeben?

Nein, an dem Konstrukt „USFB“ war alles einfach nur billig. Kurz vor Schluss ist es dann aber doch noch einmal eng geworden. Und das nicht wegen des ohnehin schon im Vorfeld ausgewuppten Kandidaten, der den Machern am besten in den Kram passte, weil der nach früheren DSDS-Erfahrungen eh keine hohen Ansprüche mehr stellte. Nein, Raab fiel es bei aller Schein-Euphorie glücklicherweise in der letzten Ausgabe dann doch noch ein: „Ogottogottogott …. Uns fehlt ja noch ein Song für Baku!“ Damit nicht auffällt, dass auch dieser längst ausgeklüngelt ist, kramten sie flugs aus der untersten Schublade noch weiteres Liedgut raus…und ach, der aussichtslosen Konkurrentin sollten ja auch noch ein paar Zeilen zusammengewurschtelt werden! Zack Zack, das wurde dann mal eben in einer Nacht- und Nebelaktion mehr oder weniger lieblos erledigt, fertig ist die Maus!

Was hätte man in Deutschland – Lena Meyer Landrut sei Dank! – alles aus der Eurovision machen können: Da man seit 2011 eh nicht mehr gewinnen musste und wollte, wäre es ein leichtes gewesen, wirklich frische oder gar bereits erfolgreiche Acts (ja…vielleicht sogar etablierte Stars!!??!) in die Entscheidung einzubinden, einen tatsächlichen Bezug zur internationalen Finalshow herzustellen (und nicht nur die Beiträge anderer Nationen in einer 1.30-MAZ zusammen zu klatschen, um sie anschließlich süffisant zu belächeln). Man hätte das angestaubteste und grausamste aller Requisiten, die Heavytones, in hohem Bogen aus dem Fenster schmeissen sollen, und endlich mal elektronische Sounds in die Auswahl einschmuggeln, der wunderbaren Sabine Heinrich über Jahre hinweg eine Lebensaufgabe geben und dem Song Contest in den nun kommenden mageren Jahren mit Spiel, Spaß und Spannung dauerhaft auf die Beine helfen können.

Die letzten Wochen war es nur Kasperletheater, wie Raab gestern in einem lichten Moment erkannt hat. Den hat der Seppl Roman (der traditionell zwar ehrlich, aber auch wenig einfältig ist) gewonnen. Kurz zuvor hat ihm der Wachtmeister Thomas D. die eigentlich schon deinstallierte Blitztabelle noch mal schnell ins Bild geschoben, denn sonst hätten die staunenden Kinder ja gar nicht gewusst, dass klammheimlich die Prinzessin Ornella dem ganzen Treiben ein böses Ende machen könnte. Aber es ist ja noch einmal gut gegangen und wir werden die nächsten drei Monate erst einmal von dem schwäbischen Geschwätz des Oberkasperls verschont. Geschafft!