In der Blase
Category : Artikel 2015
Unerhörte Neuigkeiten aus dem eurovisionären Wiener Mikrokosmos! Wir schreiben erst Tag 2 der ESC-Festwochen und schon jagt ein Aufreger den nächsten. Gestern waren es noch schwule Ampelmännchen, heute ist es – na, welch eine Überleitung! – der Liebling aller Berichterstatter, Måns Zelmerlöw. Wie wir gerade bei den Wiwibloggs-Kollegen lesen dürfen, hat der schmucke Schwede rechtzeitig zur heißen Phase des Song Contests für sich herausgefunden, dass er auch ganz gerne mal einen Jungen daten würde. Hurra, der (feuchte) Traum aller ESC-Fans wird endlich wahr, denn bis vor kurzem geisterten eher böse Schlagzeilen über den schwedischen Schwarm durch die Fachpresse, nach denen sich dieser wohl irgendwann einmal vor laufenden TV-Kameras homophob geäußert habe. Alles vergessen! Nun lässt uns Måns wissen, was er zuvor noch nie zu sagen wagte, wie zum Beispiel, dass er mit seinem Hinterteil unzufrieden sei und er seine Gefühle nicht nach Geschlechterzugehörigkeit sortiere. Prompt sinnieren die Fanboys quasi minütlich via Twitter und Facebook, ob das Unglaubliche tatsächlich wahr und der ESC-Favorit bisexuell sein könnte. Der eurovisionaer kann darauf natürlich auch keine zufriedenstellende Antwort geben, vermutet aber, dass das Management des Sängers ganz einfach mal dessen Zielgruppe genauer analysiert hat, und dieser in spätestens zwei Wochen von solch umtriebigen Gedanken wieder erlöst sein dürfte.
Die heimatlichen Headlines zu vergessen, dürfte für die niederländische Teilnehmerin Trijntje Oosterhuis dagegen schwerer werden. Hat sie doch beim Kofferpacken für Wien geschmacklich arg daneben gegriffen und muss sich nun anhören, dass sie mit einem solchen
Fümmel Kleidungsstück wie in der gestrigen Probe die eurovisionäre Bühne besser nicht betreten solle. Abgesehen von einer kurzfristig eingekauften Stilberaterin wäre ihr eventuell noch ein unverbindliches Telefonat mit Joy Fleming zu empfehlen. Die hat schließlich ähnliches bereits vor 40 Jahren mitmachen müssen und weiß davon noch heute in jeder Talkshow zu berichten.
Übrigens: Wer den Song Contest eher in Absurdistan vermutet, liegt richtig, wenn er sich mal die Probenberichte der vor Ort weilenden Journalisten auf den einschlägigen Fanblogs zu Gemüte führt. Bis ins kleinste Detail wird dort jede Geste, jedes Outfit, jeder Texthänger auseinandergenommen und die Künstlerschar je nach Gusto wahlweise für immer abgeschlachtet oder in den Himmel gelobt. Viele wissen bereits heute (an besagtem Tag 2 der Vorbereitungen auf das Wettsingen) zu rapportieren, dass beispielsweise die eurovisionaeren Favoriten Elina & Stig lieber gleich zurück nach Tallinn fahren sollten – so kakophonisch und lustlos mute ihre Darbietung an. Was von solchen Expertenurteilen zu halten ist, wissen wir spätestens seit 2014, als die akkreditierte Meute dem portugiesischen Untalent Suzy Finalchancen einräumte und die fabelhaften Common Linnets zugleich komplett übersah. Egal – amüsant zu lesen ist die Kaffeesatzleserei der Fachleute allemal, streut sie doch erst das notwendige Salz in die eurovisionäre Suppe.
Ob es unserem Liebling Jon O-la-la jedoch so recht ist, wenn an jeder Ecke getrascht wird, was das Zeug hält, wissen wir nicht. Zumindest hat er heute schon einmal den Asservatenschrank aufgeschlossen und den frisch polierten Siegerpokal auf den Tisch gestellt, damit ein jeder sich daran erinnert, worum es in der schmucklosen Wiener Stadthalle überhaupt geht: um den Sieg beim 60. Eurovision Song Contest!
Fotos: Per Kristiansen / Schriftzug Grafik: eurovisionaer (1); EBU / Andreas Putting (2,3)