Ene mene muh – wie wertet eine ESC-Jury?

Ene mene muh – wie wertet eine ESC-Jury?

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Kaum hat Deutschland Conchita Wurst in sein großes Herz geschlossen, schwappt auch schon Empörung durchs Volk und die heimischen Medien mischen munter mit. Quell des Genörgels: die deutsche Jury bestehend aus Sido, Madeline Juno, Andreas Bourani, Konrad Sommermeyer und Jennifer Weist. Sie hätte im Ernstfall – wenn’s nur nach ihr gegangen wäre – der Alpendiva vergangenen Samstag keine Punkte zuteil werden lassen! Skandalös? Okay, offensichtlich verfügte die Kommission über einen anderen Geschmack als die Zuschauer, kann ja mal passieren und sollte respektiert werden. Schließlich ist es Sinn und Zweck eines solchen Gremiums, eine auf Fachkompetenz basierende Beurteilung quasi als Komplementär dem Willen der Allgemeinheit entgegenzusetzen. Seitdem die EBU jedoch in diesem Jahr erstmals alle detaillierten Bewertungen veröffentlicht hat, sind Nachfragen nicht nur gegenüber dem NDR-Ausschuss angebracht.

Wie setzt sich überhaupt eine solche Jury zusammen? Laut EBU sollen es Musikschaffende sein, also sind Sänger, Komponisten, Texter oder gar DJs erwünscht, nicht aber Journalisten oder Wissenschaftler. Die Jurymitglieder bewerten folglich ihre eigene Zunft. Dennoch, der NDR hat regelkonform besetzt, lediglich über eine fehlende Stilrichtungsbandbreite innerhalb der fünfköpfigen Gruppe mag man streiten.

Nach welchen Kriterien wird gewertet? Das weiß außerhalb der EBU niemand. In ihren Regularien bezieht sie sich auf ein so genanntes „Green Document“, das sich die Juroren zu Gemüte führen müssen, dessen Inhalt der interessierten Allgemeinheit jedoch verwehrt bleibt. Vermutlich aber gibt es dort klare Anweisungen, zum Beispiel Diaspora-Votingerfolge zu verhindern. Beleg hierfür: das belgische Voting für Armenien. Im Juryranking auf Rang 25, bei den Anrufern auf Platz 1; das ergibt in der Summe Null Punkte für den Kaukasusstaat. Ähnlich werden die Griechen und Russen – nicht erst seit diesem Jahr – herunter gewertet, insbesondere seitdem die Jurys ein komplettes Ranking von Platz 1 bis 26 erstellen, der Televoter aber natürlich nicht. Machen sich die Juroren damit nicht zum Instrument einer hinter verschlossenen Türen ausgeklügelten Wahlfälscherei?

Werden überhaupt konkret musikalische Kriterien als Bezugsrahmen benannt, nach dem bewertet werden soll? Nein, es geht nicht um besonders pfiffige Texte oder ausgeklügelte Kompositionen, andernfalls hätte die deutsche Jury wohl kaum das relativ nichtssagende Liedchen „Cliché Love Song“ aus Dänemark kollektiv (!) auf Platz eins gesetzt. Oder gar Ralph Siegels Möchtegern-Opus „Maybe“ nahezu einstimmig auf den letzten Platz verbannt, was belegt, dass hier persönliche Vorlieben wohl eher den Ausschlag geben. In der Konsequenz zählt also der Geschmack von fünf Szeneyoungstern ebenso viel wie der von Millionen von Televotern.

Dürfen sich die Preisrichter untereinander abstimmen? Vergleicht man die Wertungen aller Nationen, fällt häufig (nicht nur bei der deutschen Vorliebe für dänischen Schlager) eine seltsame Einstimmigkeit im Ergebnis auf. Nichts mit kontroversen Diskussionen der Experten, das Votingsheet dabei lautstark argumentierend in die Luft fuchtelnd. Geheim sind die Entscheidungen daher offensichtlich nicht, wenngleich die EBU Unabhängigkeit einfordert – was auch immer das in dem Kontext bedeutet. Aber Achtung! Man darf das System der Schieberei nicht überreizen, siehe Georgien, wo das Gremium ein identisches Ranking für Platz eins bis acht auf den Tisch legte. Ein Ergebnis, das von dem EBU-Schiedsrichter Ola Sand umgehend annulliert wurde, was wiederum für Aufsehen sorgte. Etwas cleverer war dagegen der Jurytrupp aus Aserbaidschan, der lediglich seine Abneigung gegen armenischen Dubstep und sein Faible für russische Popschlager kund tat – einhellig! Ähnliche Beispiele finden sich auch in den Entscheidungen aus Armenien, Belarus oder Moldau und und und, die die Idee eines fairen Wettbewerbs ad absurdum führen.

Und zu welchem Zeitpunkt werten eigentlich die Jurys? Am Freitagabend. Für sie wurde die Generalprobe in Jury Finale umbenannt. Allerdings wird diese nicht im Fernsehen übertragen. Der gemeine Televoter darf bekanntermaßen erst am Samstag ran. Also ist das ESC-Herzstück, das kultige Voting, ein von der EBU raffiniert gemixter Obstsalat, für dessen Rezept 50% Äpfel und 50% Birnen benötigt werden. Denn, hat beispielsweise die osteuropäische Diva mal einen schlechten Probenabend, reiben sich einen Tag später die Televoter verwundert die Augen, wenn sie erfahren, dass die Jury ihren Liebling gnadenlos abgestraft hat.

Es war also so einiges faul letzten Samstag im Staate Dänemark, auch wenn die EBU nach den jüngsten Televotingmanipulationsvorwürfen stolz ihre neue Transparenz propagiert. Interessant auch, dass der ganze Juryaufwand eigentlich gar nicht nötig wäre, denn die kaiserliche Wurst hätte selbst im reinen Televoting gewonnen, sogar weitaus überlegener. Also, liebe EBU, erspare uns und unseren C-Promis den Ärger um skandalöse Expertenentscheidungen und fahre eine ganz einfache Schiene: maximal drei Zuschauerstimmen je Telefonanschluss und der böse Diaspora-Ostblock-Spuk hat ein Ende.


Deutschland: schwarz, beige und hellgrau

schattierungWelch ein Glück, dass ich mich auf diesem Blog seit jeher weniger auf die aktuelle, ergebnisorientierte Berichterstattung konzentriere, denn so blieb genug Zeit, das gestrige bundesdeutsche Voting eine Nacht zu überschlafen. Und nun? Heute? Erst einmal muss ich meine Eindrücke zum schwarzen Freitag und bisherige Vorurteile dem deutschen Michel TED gegenüber revidieren: er wählt ja doch nicht automatisch das, was er kennt! Das war nur eine der großen Überraschungen im Rahmen der deutschen Vorentscheidung 2014.

Santiano, Unheilig und mit Abstrichen gar Madeline Juno, allesamt mit einer breiten Fanbase gesegnet, erreichten ganz offensichtlich nicht das, was sie sich zum Ziel gesetzt hatten. Fräulein Juno nicht, weil sie sich ihrer Songauswahl zu sicher war; die Seemänner, weil sie dann doch nicht massenkompatibel genug waren. Und der Graf? Der musste sich wohl einer Antiwahl stellen, nachdem er weder auf der Bühne, noch in seinen pathosschwangeren Aufsagern besonders sympathisch rüber kam. Zu saft- und kraftlos trotz aller Armeschwingerei. Das hatte das Kölner Publikum vor Ort blitzschnell und messerscharf erkannt, denn innerhalb kürzester Zeit hatte es bereits einen anderen Liebling erkoren.

Die im Feld der gesetzten „Stars“ vermeintlichen Underdogs, die Wildcardgewinner Elaiza, waren es, die die Zuschauer in der Arena mit „Is it right?“ zur Raserei brachten und somit für den daheimgebliebenen TED ein wertvoller Hinweisgeber waren, wen er denn nun im etwas unübersichtlichen Votingmarathon auswählen sollte. Und dass die Sängerin des Mädchentrios gar ukrainisch-polnische Wurzeln hat, mag dieser Tage auch geholfen haben. Allerdings bin ich skeptisch, ob dieses Sammelsurium an Entscheidungskriterien auch für einen internationalen Erfolg in Kopenhagen sorgen wird.

Dort am besten aufgehoben gewesen wäre die andere Newcomerin des Abends, die jedoch leider nicht über den möglicherweise ausschlaggebenenden Wildcard-Vorteil verfügte: MarieMarie! Fehlerfrei in Gesang und Präsentation hatte sie zwei Hammer-Songs am Start, die dem bislang mehr als müden Teilnehmerfeld in Dänemarks Hauptstadt Qualität made in Germany entgegengesetzt hätte. Schade, dass es nur bis ins Halbfinale reichte. Und so mutiert mein Fazit zum diesjährigen deutschen Vorentscheid USFD von ursprünglich „rabenschwarz“, über die im Netz vielfach kritisierte Wildcardauswahl als die schon sprichwörtliche „Schattierung desselben beige„, hin zu einem ambivalenten „hellgrau“, was das nun vorliegende Ergebnis betrifft. Naja, richtig bunt kann es dann aber vielleicht 2015 werden…

Grafik: eurovisionaer


Madeline Juno

Like Lovers do | Errors

Madeline Juno Pressefoto - CMS Source Universal MusicBlutjung und doch musikalisch längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ihrer Plattenfirma nach zu urteilen schickt sich die achtzehnjährige Madeline Juno an, die glaubwürdige Stimme einer neuen Generation zu werden. Beide Vorentscheidungssongs sind auf Soundtracks vertreten, „Fuck Ju Goethe“ brachte ihr den Durchbruch in Deutschland und nun ist sie die Stimme in „Pompeii“. An ihrem Erstlingswerk „The Unkown“ bastelte die Newcomerin, die ihre Musik gerne als „Heart-Core“ bezeichnet, über vier Jahre lang.

Foto: CMS Source Universal Music

Tja, das sind die Märchen, die große internationale Plattenfirmen wahr machen. Zweifelsfrei macht Fräulein Juno wunderschöne Musik – wie so viele andere junge Damen ihres Alters weltweit. Dementsprechend schwer ist sie von anderen Singer / Songwriterinnen zu unterscheiden. Das ist ganz niedlich im Rahmen des Eurovision Song Contests, quasi eine zeitgemäße Nicole, die jedoch Gottseidank nicht auch noch vom Frieden der Welt singt. Und doch – warum werde ich das Gefühl nicht los, dass es bei ihrer Vorentscheidungsteilnahme einzig und allein darum geht, das Debütalbum zu promoten? Sorry, das war gemein – aber ehrlich!


Armes Deutschland – Die Beiträge für Köln

flag germany klein wikimedia - fry1989So allmählich schwant mir, warum der NDR die offizielle Veröffentlichung aller diesjährigen Vorentscheidungsbeiträge so lange herauszögert. Es wird einfach nicht besser, nachdem uns in der vergangenen Woche schon ein Ausschnitt des unsäglichen Unheilig-Oeuvres „Als wär’s das erste Mal“ zu Ohren gelassen wurde. Mittlerweile quälen uns auch die anderen Bewerber mit sogenannten Snippets, die an verschiedenen Ecken im Netz zu finden sind.

Fangen wir mal mit Santiano an, die ich vor einiger Zeit als ärgste Konkurrenten des Grafen bezeichnet habe. Um das mal klar zu stellen, hatte ich damals lediglich die vorhandenen Fanbases verglichen und mir war noch nicht klar, welchen Driss die Seemänner auf uns loslassen werden. Zwischenzeitlich verdichten sich die Gerüchte, dass die Schunkelmatrosen mit der Sängerin Oonagh auftreten werden, die von ihrer Plattenfirma als die neue Ethno-Pop-Sensation angekündigt wird. Natürlich stimmt das nicht. Vielmehr ist „Minne“ bzw. „Hörst du den Wind“ schrecklichste Vorentscheidungsmucke, die wir so zuletzt Mitte der 90er Jahre gehört haben und die sich krampfhaft bemüht, das musikalisch nicht gerade wegweisende „Only Teardrops“-Thema aufzugreifen. Vorsicht! Es wird ganz dolle weh tun, aber für die Masochisten gibt es hier Ausschnitte zu hören.

Update: Achtung Falschmeldung! Wie der NDR zwischenzeitlich mitteilte, werden die Shanty-Rocker doch auf weibliche Begleitung verzichten (vermutlich haben sie den Schmarrn selbst nicht ertragen). Die Beiträge für Köln lauten nun „Niemals untergehen“ und „Fiddler On The Deck“. Hörproben hiervon gibt es vorsorglich derzeit keine.

Als nächstes nun zum Rockabilly Act. Die Berliner Combo The Baseballs hat letzte Woche die Katze aus dem Sack gelassen und kündigt via Youtube ganz internäschenell die Kurzversion von „Mo hotta mo betta“ an. Richtet sich meiner Meinung nach an eine sehr überschaubare Zielgruppe, die in keinster Weise eurovisionsaffin ist. Und wie uns die Song-Contest-Historie zeigt, wäre Europa schon mit der einminütigen Version überfordert.

Oceana, die vor zwei Jahren einen ordentlichen Charterfolg mit dem launigen Fußballliedchen „Endless Summer“ hatte, ist offensichtlich immer noch auf Dschameyka oder in El-Äh (zumindest lässt sie kein Geld für einen leistungsstärkeren Homepage-Server springen). Bis sie also im März kurz in CGN zwischenlanden wird, gibt es nicht mehr als einen hippen Teaser für „Thank you“. Das zeugt immerhin von guten Umgangsformen und daher werde ich vorerst auch nix Böses dazu schreiben (der Schnipsel iss für eine abschließende Bewertung durch die Redaktion eh zu kurz).

Kein Lena-Klon ist trotz optischer Ähnlichkeit die 18-jährige Madeline Juno aus dem Schwarzwald. Sie hat in den vergangenen Monaten mit dem Song „Error“ auf sich aufmerksam gemacht und erreichte gar die Top50 der deutschen Musikcharts. Mit dem etwas schnarchigen Prädikat „Singer / Songwriterin“ gilt sie wahrscheinlich nicht gerade als Favoritin für Köln. Auch ist mir nicht ganz klar, ob wir in „Like Lovers do“ schon die finale oder nur eine ungepluggte Version ihres Vorentscheidungsbeitrags zu hören bekommen.

Wer sich bei Nicoles Auftritt 1982 schon in die geschmeidige Harfe verliebt hat, wird sich heutzutage bei MarieMarie wahrscheinlich die Ohren reiben. Die Münchnerin mit dem roten Afro ist nach eigenen Worten ein bißchen wie aus der Welt gefallen, was uns einigermaßen erklärt, warum sie ihren Beitrag für Köln noch nicht offiziell benannt hat. Vermutlich ist es aber „Cotton Candy Hurricane“, das sie vor einigen Monaten bereits live zum Besten gab und als Single-Auskopplung ihres Albums „Dream Machine“ vorgesehen hat.

Update: Ja, das ist es, der zweite Song heißt „Candy Jar“.

Von allen (bislang feststehenden) Kandidaten scheint mir Das gezeichnete Ich die besten Chancen auf eine gute deutsche Platzierung in Kopenhagen mitzubringen. Das Problem ist nur, dass der heimische Televoter absehbar nur Augen für den Grafen haben wird. Nach offiziellen Angaben trat der Berliner mit dem komischen Namen vor geraumer Zeit auf der Abschiedstour von A-Ha im Vorprogramm auf. Scheinbar hat er seitdem zu oft „Take on me“ gehört, was sich jetzt ein wenig bei seinem Wettbewerbsbeitrag „Weil du da bist“ bemerkbar macht. Egal, ansonsten besitzt der Song alles, was einen passablen Eurovisionsheuler ausmacht – Hook, Look, Timing und 3-Minuten-Länge. Alles das haben seine Konkurrenten bislang nicht!

Übrigens: Santiano plapperten schon am 14. Dezember auf ihrer Homepage aus, dass sich auch Bosse für die diesjährige Vorauswahl angemeldet habe. Vermutlich ist dem jedoch noch rechtzeitig gedämmert, auf was für einen verrückten Haufen er dann in Köln getroffen wäre und hat schnell wieder abgesagt. Schade, denn der Bundesvision-Song-Contest-Gewinner 2013 hätte sich als Grafen-Verhinderer auszeichnen können. Letzterer wird nun also Ende März einen weiteren Nummer-Eins-Hit in Deutschland sein Eigen nennen und dann im Mai auf internationaler Bühne gehörig abstürzen dürfen. Aber er wollte es ja so…

Adel Tawil, wir brauchen Deine Hilfe!!!

Grafik: Wikimedia/Fry1989

Schwarzer Freitag

schwarzer FreitagSind es nun die vermeintlich „großen“ Namen, Charterfolge oder das richtige Gesamtpaket, was den eurovisionären Erfolg garantiert? Da scheiden sich die Geister. Dem eurovisionaer persönlich tut’s leid, aber mit der Auswahl, die der NDR heute offiziell bekannt gab, kann er herzlich wenig anfangen – als da sind:

  • The Baseballs
  • Das gezeichnete Ich
  • Madeline Juno
  • MarieMarie
  • Oceana
  • Santiano
  • Unheilig
  • das Talent

Aller Voraussicht nach wird es mit diesem Line-Up im März in Köln auf einen Zweikampf Gothic-Schlager (Unheilig) gegen Shanty-Schlager (Santiano) hinauslaufen, nicht gerade die bevorzugten Musikfarben des Hausherrn… Der behauptet ganz frech: Erfahrungsgemäß könnten alle anderen Wettbewerber noch so fette Knallersongs im Gepäck haben, der deutsche Televoter wählt erfahrungsgemäß das, was er kennt. Selbst das von Herrn Tawil höchstpersönlich als achter Starter noch zu rekrutierende hoffnungsvolle Talent wird bestenfalls ein solches bleiben, solange keine Medien-Meinungsmaschinerie a la Raab gezündet wird. Und so hört der eurovisionaer schon die Unverbesserlichen, von wegen erst einmal abwarten, wie die Songs, die erst Mitte Januar nachgereicht werden, tatsächlich sind. Hat letztes Jahr aber auch nix genutzt. Grafik: eurovsionaer