Irelande douze Points
Category : Artikel 2015
Eins muss man den Iren lassen, sie wissen, wie man aus einem sturzlangweiligen Abend eine fette Party macht! Ausgangspunkt: Das kleine Studio der „Late, late Show“. Es dient wie in jedem Jahr als Austragungsstätte des nationalen Finales „Eurosong“, bei dem aus wenigen handverlesenen Wettbewerbsbeiträgen der Hammersong für Wien gefischt werden soll. Traditionsgemäß darf bei diesem Pflichttermin natürlich niemals Linda Martin fehlen, die als Chefin eines Expertenpanels verknöcherter Altstars die Kandidatenvorträge routiniert kommentiert und selbstredend alljährlich aufs Neue lamentiert, dass die bösen Osteuropäer die Eurovision gekapert hätten und nichts mehr so sei wie in den guten, alten, goldenen Tagen, als Irland einen Sieg nach dem anderen einfahren konnte. Ihr zur Seite sekundieren die offensichtlich stadtbekannte Drag-Queen Miss Panti Bliss (wohl auch, um Petra Mede eines Besseren zu belehren, wer denn nun die Tunte im Haus sei), irgendeine Radiomoderatorin sowie der leibhaftige Phil Coulter, Mastermind der Steinzeit-Evergreens „Congratulations“ und „Puppet on a String“.
Dann endlich werden die fünf hoffnungsvollen Talente, die RTE im Vorfeld in offensichtlich wochenlangen Castings ausgesucht hatte, auf eben jene Jury losgelassen. Die argumentiert zuerst noch recht höflich, dann aber reisst auch den Mentoren der Geduldsfaden und sie lassen kein einzig gutes Haar mehr an der öden, international chancenlosen Auswahl 2015. Lediglich Darling Linda bemüht sich zwischendrin um ein paar warme Worte, der geschulte „Eurosong“-Fan jedoch kann ihr die Verzweiflung ansehen, wie hier mit ihrem eurovisionären Erbe umgegangen wird. Was also anstellen mit diesem verkorksten Abend?
Das irische Auditorium – gepusht von unzähligen Einspielern, die an die grandiosen Siegertitel der Vergangenheit erinnern – schaltet angesichts der erneut absehbaren nationalen Katastrophe kurzerhand in den Feiermodus und singt sich ganz einfach den Frust von der Seele. Zuerst im Rahmen einer Art Pub-Quiz, bei dem lokale Größen Songcontest-Klassiker mit Unterstützung des mittlerweile rasenden Publikums anstimmen müssen, was selbst den eurovisionaer nach anfänglicher Skepsis köstlich amüsiert.
Und um dem noch eins drauf zu setzen, schiebt RTE gleich ein Sing-Off hinterher. Zwei Zuschauer, Norman und Pat, augenscheinlich ergebene Eurovisionsanhänger, schmettern für jeweils ihre Publikumshälfte – was wohl ? – natürlich „Hold me now“, um – festhalten, verehrte Leserschaft! – einen Haufen Beauty-Produkte zu gewinnen. Das Studio tobt, längst ist niemand mehr auf seinen Sitzen und selbst Linda fühlt sich – ganz Norma Desmond – wie in eine längst vergangene Zeit gebeamt.
Doch gerade, als man sich als anonymer Beobachter beim Wunsch ertappt, dieses unglaubliche Happening möge jetzt noch Stunden so weitergehen, wird mal eben schnell das lästige Tagesgeschäft abgewickelt, wegen dessen – eigentlich – alle hier sind. Die Jurys der Provinzen verteilen hastig ihre Punkte, die Televoter geben ihren Senf dazu und – schwupps! – ist die kleine Molly zur Siegerin des Abends erkoren. Die darf noch kurz ihre eher einschläfernde Reprise vortragen, während das schlagartig wieder nüchterne Publikum aus den schönsten Träumen heraus nun auf den harten Boden der Wirklichkeit plumpst und das Studio anschließend vermutlich gesenkten Hauptes verlässt. Tja, hätte es einen Wettbewerb um den stimmungsvollsten Veranstalter des demnächst anstehenden ESC-Jubiläums gegeben, Irland hätte ihn an diesem Abend haushoch gewonnen!