USFÖ – Unkeusche Gedanken vor dem Tag X

USFÖ – Unkeusche Gedanken vor dem Tag X

sex andAls der eurovisionaer kürzlich durchs Netz streunte, um seine bislang spärlichen Informationen zu der in Kürze anstehenden heiligen nationalen Vorentscheidung zu vervollständigen, stieß er auf eine Forderung, die ihm bereits aus hitzigen Gesprächen in seinem persönlichen Umfeld hinlänglich bekannt war. Es ging um DIE Grundsatzfrage, die augenscheinlich für manchen ESC-Aficionado von derart existenzieller Bedeutung ist, dass sie ihn selbst in der dunkelsten Novembernacht aus tiefen Träumen hochschrecken lässt, aus lauter Furcht, sie vor dem eilig einberufenen obersten ESC-Gericht nicht wahrheitsgemäß beantworten zu können:

Wie nimmt er es mit der Treue zu seinen heimischen Kandidaten?

In Zeiten, in denen das Festivalvergnügen immer hemmungsloser ausgelebt werden kann, da der interessierte Fan ab spätestens Mitte November irgendwo auf dem Kontinent den nationalen Entscheidungsprozessen mittels wackliger Streams beiwohnen kann, in denen mittlerweile nicht mehr nur 18 (wie in den biederen Siebzigern), sondern beinahe 40 Bewerber paradieren und um seine Gunst buhlen, ist es nicht mehr so einfach, dem Kopf statt dem Herzen zu folgen. Lediglich die Idealisten unter uns ficht das nicht an: Komme was wolle, sie stehen zu ihrem deutschen Beitrag, denken immer noch glückstrunken an die keimfreie Beziehung mit Ralph Siegel, die über lange Jahre kuschelige Vertrautheit suggerierte, und geben sich auch heutzutage ohne wenn und aber jedem aberwitzigen Verkupplungsversuch des NDR bedingungslos hin. Ihr eurovisionäres Motto lautet: Wähle eine Seite aus und halte dich daran.

Doch was passiert mit uns anderen? Der eurovisionaer – vor seinem Second-Hand-Barock-Sekretär sitzend und auf die Laptop-Tastatur starrend – macht gerade ganz mondän auf Carrie Bradshaw und fragt sich: Beschreiten wir den Walk of Shame, nur weil wir hin und wieder die hauseigenen Angebote verschmähen und mal ein abgetakeltes Clubkonzert links liegen lassen? Verlangt es die ESC-Ettikette, dass wir uns ganz situationselastisch die Daumen drückend hinter den für uns bestimmten Kandidaten stellen und mit der schwarz-rot-goldenen Fahne wedeln? Verschmähen wir bedenkenlos das heimische Husband-Material und treiben es lieber mit dem estnischen oder slowenischen Fuck-Buddy?

Für die schlagerösen Charlotte Yorks oder mellobesessenen Miranda Hobbs unter den Contestanhängern käme Letzteres niemals in Frage. Nun gut, natürlich flirten auch sie schon mal in Sektlaune mit dem italienischen Hengst oder träumen klammheimlich unter der Bettdecke von ihrem schwedischen Märchenprinzen, aber selbst downtown verlieren sie niemals ihre Prinzipien aus dem Blick, wenn sie unverdrossen auf den einzig Richtigen warten – den deutschen Eurovisionssieger. Jedoch: Ist Hoffnung eine Droge, die wir auf Dauer besser absetzen sollten?

Mit einer solch treuherzigen, jedoch überflüssigen Form der Zeitverschwendung konnte der bei den Eurovisionisten zahlenmäßig scheinbar unterrepräsentierte Typus Samantha Jones noch nie etwas anfangen. Von einem dahergelaufenen norwegischen Schätzchen kann er bekanntermaßen niemals genug frischen Pfeffer serviert bekommen und wie selbstverständlich pickt er sich seit jeher nur die süßesten Kirschen aus dem bunten eurovisionären Kuchen. So sammelt er über die Jahre immer neue musikalische Trophäen, die ihm mit jeder Erinnerung ein ewig zufriedenes Lächeln ins Gesicht zaubern, wohingegen ihn so manch deutscher 3-Minuten-Freier ähnlich schnell anwidert wie ein Schluck schlechten Beaujolais Nouveau am ersten Tag der Saison.

Nur einmal hat es dieser wohl so undeutsche heteroschwule Eurovisionsliebhaber geschafft, den Erwartungen seiner Freunde gerecht zu werden, als er ungläubig, aber zielsicher den Hafen der Monogamie ansteuerte. In jenen ausgelassenen Meyer-Landrutschen Jahren uptown staunte er plötzlich selbst, wie unkompliziert das ESC-Dasein in treuer Verbundenheit doch sein konnte. Das Glück währte zwei Frühjahre, dann war der Zauber vorbei.

Peng!

Später an diesem Tag begann der eurovisionaer zu begreifen, dass ihn das Reden der kritikunfähigen Moralapostel vielleicht nachdenklich gestimmt, aber keinesfalls den Glauben an die Ehrlichkeit als beste Politik des Lebens genommen hatte. Wenn wir niemals nach links oder rechts schauten, von unserem angeblich durch Geburt vorgegebenen Song-Contest-Weg abwichen, wären wir nie der, der wir nun mal sind und unser Lieblingswettbewerb wäre so rein gar nicht absofuckinglutely. Zum Teufel also mit der chauvinistischen Fügsamkeit! Willkommen im Zeitalter der freien ESC-Liebe!

Grafik: eurovisionaer

Das Jahr eins nach Valentina

SNM MicheleSan Marino setzt auf die unverbrauchte Jugend, weil dem alten „Schlachtross“ Valentina Monetta nach dreimaliger Teilnahme in Folge offensichtlich die Lust am ESC vergangen war. Michele Perniola, der bereits bei dem vom eurovisionaer eher verhassten Juniorvision Song Contest 2013 sein Glück versuchte, soll es nun in der Erwachsenenausgabe richten und im zarten Alter von 16 nach Wien reisen. Zur Seite gestellt wird ihm Anita Simoncini, gleichaltrig und ebenfalls – 2014 – mit ihrer Girlgroup „The Peppermints“ kläglich beim JESC gescheitert. Ob sich die beiden Teenager nun beim wahren Song Contest beweisen und aus dem Schatten der wunderbaren Valentina frei schwimmen können, wird sich zeigen, wenn der Beitrag des Duos – voraussichtlich im März 2015 – veröffentlicht wird. Spätestens dann wissen wir auch, ob das Ralph-Siegel-Abo abgelaufen ist oder ob uns per Dauerauftrag weiteres Grauen für Michele & Anita bevorsteht.


Eurovisionäre Nachhilfe: 03. April 1976

19761976 war der Grand Prix Eurovision so populär wie nie zuvor – und niemals danach wieder. Grund hierfür war zuallererst der Überraschungssieg von Abba mit „Waterloo“ zwei Jahre zuvor und dessen musikalisch etwas dünnere Fortsetzung mit dem holländischen „Ding-A-Dong“ 1975. Innerhalb kürzester Zeit war der Song Contest vom Chanson- zum zeitgemäßen Popmusikwettbewerb mutiert, dessen Siegertitel nicht nur internationale Charterfolge wurden, sondern – das war neu – seinen Interpreten auch etwas ähnliches wie eine überschaubare Karriere mit Nachfolgehits bescherten.

d76Es schien daher ein glücklicher Zufall zu sein, dass sich in der bundesrepublikanischen Vorauswahl zwar zuerst der Barde Tony Marshall durchsetzen konnte, wegen dessen nationaler Disqualifikation aber letztlich die Anfang der Siebziger recht hippe Formation Les Humphries Singers nach Den Haag geschickt wurde. Nichts wollten die Deutschen mehr als europäische Anerkennung durch einen Sieg beim Song Contest, also vertraute man der zuletzt gültigen Erfolgsformel und schickte erstmals eine Band zum Schlagerwettbewerb. Es endete mal wieder in einem Fiasko. Der Beitrag „Sing Sang Song“ war noch einfacher gestrickt, als es der Titel schon vermuten ließ und rangierte am Ende des Abends auf Platz 15. Es war – wie selbst heute noch so oft – der vergebliche Versuch Ralph Siegels, so etwas wie aktuellen Pop zu komponieren. Doch die Jugend konnte er mit seinem umständlichen ESC-Konstrukt überhaupt nicht erreichen. Lediglich bis auf Rang 45 der Mediacontrol-Charts schaffte es der Siegelsche Singsang, und auch ich als treuer Single-Käufer und Eurovisionsfan verweigerte mich. Und die Jurys Europas eben auch.

uk76Statt dessen setzten sie – wie schon im Jahr zuvor – ausgerechnet den Song auf Platz eins, der auch als erster des gesamten Teilnehmerfeldes vorgetragen wurde. Brotherhood of Man, die mir als fleißiger Mal-Sandock-Hörer schon seit Monaten mit „Kiss me, kiss your Baby“ im Ohr waren, führten mit ihren aus heutiger Sicht affigen Tanzschrittchen zu „Save your Kisses for me“ erstmals das choreografische Element in den Wettbewerb ein. Am 03. April 1976 sorgte es maßgeblich dafür, dass die Juroren den britischen Auftritt nicht vergaßen und mit Höchstwertungen überschütteten. Natürlich funktionierte ebenso die bei den famosen Schweden abgekupferte Formel „zwei Jungs, zwei Mädchen“ und der Charterfolg in der Heimat, wo der Song schon vor dem Contest auf Platz eins der BBC-Top-40 kletterte. Dort reichte es gar für zwei weitere Top Hits 77 und 78, aber eigentlich blieb die Band immer ein peinlicher Abba-Klon. Doch während diese Mitte 1976 mit „Dancing Queen“ schon in einer anderen Liga spielten und nunmehr seit über dreißig Jahren ihr Renterdasein genießen, tingeln die Briten bis zum heutigen Tage durch die ESC-Shows Europas.

mc76Dennoch täuscht das scheinbar so eindeutige Votum des 76-er Wettbewerbs, der knallvoll mit guten, eingängigen Beiträgen war: Monaco versuchte sich erfolgreich an den damals allmählich populären Discosounds, Frankreich und Österreich hatten wirklich tolle Schlager am Start, Belgien eine wundervolle Ballade und Israel einen richtig guten Popsong. Viele schafften es während des heißen Sommers in die europäischen, aber auch bundesdeutschen Charts und sorgten für einen hohen kommerziellen Wert dieses – rückblickend betrachtet – außergewöhnlichen Jahrgangs.

sf76Und in einen mittelschweren Schreikrampf versetzt mich auch heute noch der legendäre finnische Beitrag „Pump Pump“ des gemütlichen Fredi. Zwei seiner „Friends“, die beiden Tänzerinnen, hatten kurz vor dem großen Auftritt wohl aus Langeweile Ecstasy-Bonbons gelutscht, die die beiden so in Fahrt brachten, dass der Sänger aus Suomi vermutlich noch Wochen danach blaue Flecken an der Hüfte hatte. Für solche Momente liebe ich die Eurovision!
Coverfotos: Decca, Pye Records, Polydor, Philipps

scoreboard 1976

Foto: EBU


Eurovisionäre Nachhilfe: 31. März 1979

1979Ich bin mir nicht sicher, ob es viele Menschen gibt, die sich wie ich zuweilen wehmütig erinnern, was an jenem Tag vor wer-weiß-nicht-wie-vielen Jahren passiert ist. Nun ja, der Wetterbericht tut’s manchmal. Und die Tagesschau auch – aber immer nur in 25-Jahres-Schritten… Machen wir also ein Fass eine neue eurovisionäre Rubrik auf und gehen wir auf eine Zeitreise exakt 35 Jahre zurück zum 31. März 1979!

d79Heute unvorstellbar, war die deutsche Vorentscheidung in der inzwischen kultigen Rudi-Sedlmayer-Halle gerade mal zwei (!) Wochen vorher über die Bühne gegangen. Erstmals unter der Regie des Bayrischen Rundfunks, moderiert von dessen auch heute noch alterslosen Schlachtross Carolin Reiber. Und mit einem atemberaubenden neuen Auswahlverfahren, der demoskopischen Befragung ausgewählter Zuschauer. Das war zu der Zeit so hip wie heute vielleicht ein social-media-gesteuertes Online-Voting. Damals brachte es uns jedenfalls eine wilde Siegertruppe namens Dschingis Khan, die später – was noch keiner ahnte – Schlagergeschichte schreiben sollte. Wonach es im März 79 zuerst gar nicht aussah, denn das prüde Deutschland regte sich schnell über den Rauf-und-Sauf-Text auf, und schämte sich, dass ausgerechnet beim Grand Prix Eurovision in Israel ein mongolischer Eroberer mit den Zeilen „Sie trugen Angst und Schrecken in jedes Land“ besungen werden sollte. Mir als Teenager war das ziemlich schnuppe und so hatte ich wenige Tage später meine erste Dschingis Khan-Single in den Händen und fand die Band allein cool, weil im Jahr fünf nach Abba bizarre Kostüme und endlich mal wieder so was wie Popmusik zum Contest geschickt wurden. Was uns Ralph Siegel, der in jenem Frühling so nah wie nie mehr danach am musikalischen Zeitgeist war, in der Folge noch alles antun sollte, wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht…

Der große Finalabend in Jerusalem war für mich an der Mattscheibe zu Hause dann jedoch eine unendliche persönliche Enttäuschung. Als Minderjähriger durfte ich zwar Einfluss auf die Programmauswahl im elterlichen Haushalt ausüben, geguckt wurde trotzdem das, was die Erwachsenen bestimmten. So musste ich bei Schnittchen und Limo als televisionäre Samstagabend-Alternative „Musik ist Trumpf“ über mich ergehen lassen, was schon damals die Höchststrafe in Sachen Fernsehunterhaltung darstellte. Wenigstens wurde zwischendurch immer mal in die Übertragung des israelischen Rundfunks gezappt, das gerade erst das Farb-TV eingeführt hatte und dessen Ton an jenem Abend so sehr rauschte, als wären wir Zeugen einer Sondersendung vom Mond. Egal – schließlich wollte man „Die Deutschen“ sehen, über die sich grad alle das Maul zerrissen, und hoffte – ganz teutonisch! – auf deren fette Bauchlandung beim Chansonwettbewerb.

e79Da – endlich – ab ca. 22.30 Uhr auf den anderen zwei Kanälen nix Gescheites mehr lief, wurde nun zur ARD umgeschaltet und ich sah gerade noch den Auftritt der letzten Starterin Senora Missiego aus Spanien. Im heimischen Wohnzimmer wurde deren Schlager alter Schule gouttiert, es gab ja auch keinen Vergleich zu den übrigen 17 Teilnehmern… Aus heutiger Sicht war die Betty, die eigentlich aus Südamerika kam, eine ganz Schlaue: sie scherte einfach vier knuffige südländische Grundschüler um sich, die mit ihrem penetranten  „La la la“ den Hauptteil des Gesangs tragen mussten, und machte zwischendurch ein wenig auf Oberlehrerin. Natürlich kam das bei den wohl auf Zucht und Ordnung bedachten Jurys mächtig gut an, denn ihr Beitrag lag auf dem Wertungstableau lange vorn (der Begriff Scoreboard war hierzulande noch unbekannt). Doch dann hatten die Spanier offensichtlich noch einmal in ihre Portokasse geschaut, die defintiv zu blank war, um den Contest im folgenden Jahr auszurichten: Madrid wurde zur letzten Wertung des Abends aufgerufen und sorgte für fette Überraschungen. Halbwegs unverhofft gab Espana ausgerechnet dem verpönten deutschen Sauflied die berühmten „douze points“. Noch atemberaubender jedoch: Nachdem der oberste spanische Fernsehdirektor wohl den Rechenschieber rausgeholt hatte, erhielt Israel satte 10 Punkte. Das reichte für einen erneuten Sieg und Spanien rutschte auf Platz zwei zurück. Den Moderatoren Yardena Arazi und Daniel Peer stockte fast der Atem – mussten sie sich im kommenden Jahr noch einmal vor 500 Millionen Fernsehzuschauern blamieren?

il79Dazu kam es nicht, wie wir heute wissen. Die Israelis kniffen und machten sich einfach für eine Ausgabe aus dem Staub. Am 31. März jedoch sangen alle siegestrunken „Hallelujah“, ein Lied, so unkte der Print-Kommentator HGR, dass „man nach vier Wochen wieder total vergessen haben wird“. Wie so viele Kritiker, die den Wettbewerb zur damaligen Zeit alljährlich totsagten, hatte auch er sich geirrt. Dschingis Khan, deren Beitrag einen unerwarteten vierten Platz bei Schlagerfestival erreichte, schaffte es danach bis auf die Spitzenposition der bundesrepublikanischen Charts. Und während gegen Mitternacht der Abspann über die Bildschirme lief, nahm sich die enttäuschte Frau Missiego im On einen großen Schluck aus der Champagnerflasche und überlegte, mit wem sie zu Hause wohl zuerst ein spanisches Hühnchen rupfen würde… Coverfotos: JupiterRecords / Mercury / Polydor

scoreboard 79

Foto: EBU


3x dabei – bitte nicht wiederwählen!

Valentina EBU - Augusto Betiulaleer
Der eurovisionaer kann es kaum glauben, doch die erste Song-Contest-Teilnehmerin 2014 steht bereits fest! Wie der Fernseh­sender San Marino TV gestern be­kannt gab, wird Va­lentina Mo­netta zum dritten Mal in Folge den Zwerg­staat beim europäi­schen Wettsingen vertreten. Nun, ganz offensichtlich sind die anderen beiden bisherigen Vertreter des Zwergstaates, Senit und Miodio, mittlerweile ausge­wandert. Und jetzt gibt es ein­fach kei­ne vorzeigbaren Künstler mehr im Land, aber warum gleich in er­neuter Alli­anz mit Ralph Siegel? Hat sich der umtrie­bige Münch­ner mit ei­nem Abo für mehrere Jahre ein­gekauft oder es gab eine Ra­battaktion “3 für 2″?

Foto: EBU / Augusto Betiula

Der König ist tot. Es lebe der König!

logo vorläufig2013 müssen wir ohne Blitztabelle, Jurypräsidenten und die Heavytones auskommen…. Welch ein Segen! Wie das Onlinemedienmagazin DWDL heute berichtet, wird es im Rahmen der nationalen Vorauswahl zum Eurovision Song Contest in Malmö keine Neuauflage der Zusammenarbeit zwischen ARD und Pro7 geben, damit ist das ausgelutschte Format „Unser Star für…“ vorerst tot. Das war es eigentlich schon in diesem Jahr, denn was 2010 dank Lena Meyer-Landrut wunderbar funktionierte, erwies sich fortan als nichtendenwollendes Schnarch-TV.

Der Privatsender, der sich offensichtlich niemals mit dem eurovisionären Gedanken anfreunden konnte und sich stets bemühte, den Songcontest zu ignorieren, teilt hierzu lapidar mit:

„Für 2013 plant ProSieben keine gemeinsame Showreihe mit der ARD zum ESC. Die erfolgreiche Kooperation ruht, eine Fortsetzung ist nicht ausgeschlossen“.

Thomas Schreiber, der Koordinator der Unterhaltungssendungen der ARD, scheint darüber nicht allzu enttäuscht zu sein:

„Es ist Teil der Geschichte des ESC, dass sich die Art, den deutschen Beitrag zu suchen, über die Jahre weiterentwickelt. Das Konzept für den deutschen Vorentscheid 2013 ist derzeit in Vorbereitung.“

Glücklicherweise schließt der Begriff „Weiterentwicklung“ ein Anknüpfen an das unsäglich trutschige Format von 2006 – 2008 schon einmal aus. Auch hatte sich in der Vergangenheit eine Entscheidung hinter verschlossenen Türen, wie wir sie zuletzt 2009 mit „Alex Swings Oscar Sings“ erleiden mussten, als nicht besonders erfolgreich und zuschauerbindend erwiesen. Bleibt also abzuwarten, welches Konzept der NDR nun in der Schublade haben will. Ein deutsches Melodifestivalen, welches die eingefleischten Fans sich so sehr wünschen und neuerdings zärtlich „Mello“ nennen, hält der eurovisionaer mit Blick auf die hiesige Musikszene jedenfalls für ziemlich ausgeschlossen. Vielleicht kann sich in der Folge des europaweiten Chart-Erfolgs der Schwedin Loreen der eine oder andere Act der bundesdeutschen A-Liga eine Teilnahme dann vorstellen, wenn der rote Teppich inform einer Nomminierung mit anschließender Abstimmung über den Song ausgerollt werden würde. Doch selbst dieses Format hat bereits 2011 niemanden mehr wirklich vom Hocker gerissen, obschon es immerhin das geniale „Taken by a Stranger“ zu Tage förderte.

Halbwegs realistisch erscheint dagegen eine retrovisionäre Version des Klassikers am Donnerstagabend mit 10 mehr oder weniger hoffnungsvollen Talenten, die die Musikindustrie entweder verheizen oder billig unters Volk bringen möchte. A propos: Ralph Siegel wird seit heute sicher Nachtschichten einlegen, um dann im Februar 2013 den wieder einmal besten Titel seines Musikschaffens aus dem Hut zu zaubern…

Grafik: eurovisionaer

Toute chose en son temps

Nach einer anfänglichen Phase der Sprachlosigkeit fällt es mir nun nicht schwer, den vorherigen Artikel in seiner vorerst nur angedeuteten Grauenhaftigkeit noch zu überbieten. Bereits vor einigen Wochen wurde bekannt, dass die penetrant prahlende Lys Assia das Line-Up der schweizerischen Vorentscheidung 2012 durch eine Gesangsdarbietung aufwerten wolle. Klar, dass sie für dieses frevlerische Ziel einzig Ralph Siegel anheuern konnte, der sich in einem ersten Interview gewohnt bescheiden gibt:

„Meine Musikerfreunde sind begeistert über unseren Coup. Ganz Europa ist wild auf Lys Assia. Das Lied sollte eine Art ‹My Way› werden. Ich hoffe, das ist mir gelungen.» Lys Assia ganz gerührt: «Ich habe nie damit gerechnet, noch einmal so etwas erleben zu dürfen.»

lys Assia Wikimedia clausuleOffensichtlich reichte es ihr nicht mehr, alljährlich die Eurovisionsbühne zu erklimmen, um auf ihren grandiosen Sieg anno 1956 hinzuweisen. Altersweisheit war daher schon seit längerem nicht mehr diagnostizierbar. Oder vielleicht doch?  Schließlich lagen bereits in diesem Jahr die Juries der litauischen Chanteuse Evelina zu Füßen, als jene das frankophile Musikjuwel „C’est ma vie“ intonierte. Da erscheint es clever, mit „C’était ma vie“ noch einen drauf zu setzen und die nostalgieschwangeren Juroren in den Schlaf singen zu wollen. Baku 2012? Wenn das so weiter geht und – bewahre! – Madame tatsächlich entsendet werden sollte, erleben wir eher eine Zeitreise Richtung Cannes 1959.

Doch nicht alle sorgen sich um eine eurovisionäre Freakshow, wenn ich den Stimmen einiger ungenannter linientreuer Altkommunisten Fans Glauben schenken darf:

„Dass Assia und Siegel zusammenspannen, wird vor allem Stefan Raab ärgern», schreibt ein User. «Der Song klingt überraschend gut», lobt ein anderer. Die Ballade wird sogar mit dem Ohrwurm von Raphael Gualazzi (29) verglichen, der am ESC dieses Jahr den zweiten Platz erreichte. «Dieses schöne Lied hat so viel Chancen wie Italien», ist sich ein Fan sicher.“

Ist eigentlich Margot Hielscher samt ihrer Schellackplattensammlung beim offenen Casting zu „Unser Star für Baku“ schon gesichtet worden?

Gute Nacht, Europa

Foto: Wikimedia / Clausule