Vollkommen verbockt: Stockholm 2016

Vollkommen verbockt: Stockholm 2016

Nach drei Wochen des selbst-auferlegten Song-Contest-Schweigens ist der eurovisionaer in seine ESC-Blase zurückgekehrt, um sogleich mit Entsetzen festzustellen, dass er so einiges aufzuarbeiten hat.

Das Stockholmer Wettsingen ist längst entschieden, die 61. Runde des europäischen TV-Events wird als eine der politischsten in die Festivalgeschichte eingehen. Dabei hatten sich die schwedischen Veranstalter so viel Mühe gegeben, den Glamourfaktor des ehemaligen Kuschel-Grand-Prix in ungeahnte Höhen zu treiben und tonnenweise Glitter über den Globen ausgeschüttet. Es half alles nichts.

Ausgerechnet die Ukraine schnappte den Favoriten aus Russland und Australien den Sieg vor der Nase weg. Sängerin Jamala jammerte sich durch drei Minuten biografischen Liedguts, das von der Vertreibung ihrer Großeltern von der Krim Anno 1944 erzählte und für den lauschigen ESC-Fan mit dezenten Trip-Hop-Beats garniert wurde. Dagegen schmierten die mördergut gesungene Allerweltsballade aus Sydney, aber auch der spektakulär in Szene gesetzte, ansonsten aber harmlose Discofox aus Moskau gewaltig ab. Die Erfolgsformeln der Vorjahre, die große Conchita-Geste oder der stramme Mans-Tanz, waren mit einem Mal hinfällig. Der unbedarfte Fernsehzuschauer wähnte sich eher beim Festival des politischen Liedes, denn bei seinem Lieblingsschlagerwettbewerb. Der ESC 2016 ist im Hier und Jetzt angekommen, wo kriegerische Auseinandersetzungen zweier Teilnehmerländer in verklausulierter Lyrik den angeblichen Nerv der Zeit treffen.

Nichts davon ist wahr. Denn den schon jetzt kommerziell erfolglosesten ESC-Sieger der letzten 15 Jahre hat die veranstaltende EBU selbst verbockt. Die grundsätzlich sympathische, nun aber von der ukrainischen Kriegsgöttin Ruslana herself in den politischen Rachefeldzug entsendete Jamala gewann nämlich weder das Jury- noch das Televoting. Dennoch hievte sie zum Abschluss der paneuropäischen Übertragung den Siegespokal in die Höhe. Schuld ist das neue Wertungsverfahren (Experten- und Zuschauervoten werden nicht mehr gemittelt, sondern fließen gleichberechtigt in das Endergebnis ein). Bereits im ersten Durchlauf entpuppte es sich als Betriebsunfall, der jedoch von den Organisatoren ignoriert und seitdem lieber schön geredet wird, da sich doch dessen Änderungen grundsätzlich bewährt und Spannung bis zum Schluß garantiert hätten. Ein Großteil der folgsamen Fanschar stimmt zu.

Der in die Jahre gekommene ESC-Anhänger – Neuerungen gegenüber durchaus aufgeschlossen – kann sich nur wundern. Das Voting, seit Jahrzehnten gleichermaßen Kult wegen einer sich aufbauenden Spannung, die lieb gewonnenen ewig gleichen Dankesfloskeln der Jurysprecher sowie vorhersehbare Nachbarschaftswertungen – reduziert auf eine kurze Ansage der fabulösen Douze Points. Immerhin. Parallel werden Ergebnisse eingeblendet, denen kaum jemand folgen kann. Dann ein Break, weitere schwedische Pausenfüller, schließlich die Vermeldung der Zuschauerergebnisse. Gewann die unvergessliche Celine 1988 noch mit mageren 137 Punkten, wird nunmehr mit Finalergebnissen nur so um sich geschmissen. Warum die Ukraine urplötzlich 534 Stimmen bekommt – egal, Hauptsache sie gewinnt. Vergessen ist das Mitfiebern mit der bärtigen Conchita, heutzutage wird geklotzt, nicht gekleckert.

Womit wir beim deutschen Beitrag angekommen wären. Unser Lied schaffte es zum zweiten Mal in Folge, zum langweiligsten Song des Abends gekürt zu werden. Bravo! Und daran wird sich auch nichts ändern, solange eierschaukelnde Bosse irgendwelcher Major-Plattenfirmen darüber entscheiden, welches verheizbare Talent sich als nächstes auf europäischer Bühne bis auf die Knochen blamieren darf. Dem NDR sei Dank.

Was also hat dem ewig gnatzenden eurovisionaer überhaupt gefallen?

Zum Beispiel der knackig freshe Justin Timberlake (zum Zweck der konsequenten Weiterentwicklung des Events zum kommerziellen Worldvision-Contest von seinen Majors auf Promotour in die alte Welt geschickt), lieferte er doch den catchiesten (wenngleich von Schweden fabrizierten) Song des Abends. Oder auch die fantasmorganische Barei aus Spanien, die zwar im Zuge des in diesem Jahr über die Maße Diasporafreundlichen Votings komplett nach hinten über fiel, sich aber dennoch zum Liebling der eurovisionaeren Party mauserte. Oder auch der fesche Mans, der seine internationale Moderationsbewährungsprobe bravourös meisterte und das zusehends alternde, ähnliche wie der deutsche Kommentator an seinen Textkarten klebende Urgestein Petra Mede blass werden ließ.

Es ist vorbei. Schade. Der kommende Wettbewerb 2017, der aller Voraussicht nach im auch dann noch kriegerischen Kiew stattfinden wird, lässt bislang keine wirkliche Vorfreude zu. Stockholm hat es ganz einfach vergeigt.

Foto: EBU / Thomas Hanses

43

Wie eurovision.tv soeben bestätigte, sind 43 Teilnehmer für den Song Contest 2016 gemeldet. Das ist neben Belgrad 2008 und Düsseldorf 2011 das größte Starterfeld beim europäischen Wettsingen. Grund hierfür sind die überraschenden Zusagen aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Bulgarien. In den Semifinals am 10. und 12. Mai werden sich daher 18 bzw. 19 Länder um den Einzug ins Finale (14. Mai) reißen. Ganz großes Kino, da freut sich das eurovisionaere Herz!

Eine Übersicht über alle nun anstehenden Termine und die bereits gemeldeten Interpreten gibt es in der Rubrik Vorentscheide 2016!

Grafik: eurovisionaer

Bosnia is back!

Endlich einmal gute Nachrichten abseits des deutschen Vorentscheidungsdilemmas! Bosnien und Herzegowina nimmt definitiv am Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm teil. Das gab der zuständige Sender BHRT heute bekannt, nachdem er den ESC-Fans in den vergangenen Monaten mit seinem mittlerweile üblichen Raus-und-Rein-Spielchen schon fast den letzten Nerv geraubt hatte. Wie bereits in den Vorjahren fehlten dem Staatssender nämlich die finanziellen Mittel, um einen Beitrag zum Song Contest zu entsenden, doch dann kam in diesem Jahr offensichtlich von irgendwoher ein Sponsor vorbei (hoffentlich nicht Ralph Siegel) und nun ist alles geritzt!

Wer sich so generös zeigte und welcher Künstler den ESC nach Sarajewo holen will, soll morgen verkündet werden. Den eurovisionaer freut’s, war doch der Balkanstaat bislang nahezu jedes Jahr ein Garant für ausgezeichnete Einreichungen. Übrigens: Angeblich lag das Manko, an der die ganze Chose erneut hätte scheitern können, bei 25.000 Euro. Vermutlich ist das ungefähr der NDR-Jahresetat für die sprichwörtliche Portokasse…

Update: Zwischenzeitlich wurde bestätigt, dass Deen (In the Disco) mit Dalal Midhat Talakić und der Cellistin Ana Rucner nach Stockholm reisen werden. Der Beitrag soll irgendwann im Januar veröffentlicht werden.

Grafik: eurovisionaer

This is Stockholm calling

Bevor die Gemeinde in Kürze alle Augen und Ohren auf Stockholm 2016 richtet, hat der eurovisionaer mal ganz nostalgisch den Fundus durchwühlt und voller Freude die Remixes des Jahres 2000 hervorgekramt. Schon damals war Schwedens Hauptstadt Gastgeber für den allmählich größer werdenden ESC-Tross. Und der verantwortliche Sender SVT nahm die Sache ernst, denn er entstaubte den Wettbewerb gewaltig vom Schmodder der keltischen Ära. Aus der Rückschau betrachtet gilt das Milleniumsjahr folgerichtig als ein Wendepunkt in der langen Contestgeschichte, erlaubte es doch erstmals kreischende Fans, Flaggen jedweder Größe, kommerzielle Siegertitel und nahezu enthemmte Moderatoren.

Remixe allerdings waren zu jener Zeit noch nicht so angesagt. Ein Grund, warum die 2000er Ausgabe etwas kürzer, vorentscheidungslastiger und an manchen Stellen vielleicht auch peinlicher ausfällt, als es der geneigte Hörer bislang gewohnt war. Nachdem sich also der eurovisionaer stoisch von 2015 bis in jenes Jahr zurück gearbeitet hat, ist nun Schluss mit dem retrovisionären Gemixe. Eine Edition 1999 wird es nicht geben. Wohl aber werden demnächst brav an dieser Stelle – sozusagen als letzter Teil der Fleißarbeit – die fehlenden Tracks Byte für Byte hochgeladen. Versprochen. Und danach schauen wir nur noch nach vorne.

Eurovision Song Contest 2000 Remixed

01 Johan Söderberg – Europe was covered with Ice (Interval Remix)
02 Olsen Bros. – Fly on the wings of love (Spacetravellers building a Kraftwerk Mix)
03 Alsou – Solo (Club mix)
04 Erotic – Queen of Light (Plastic Age Remix)*
05 Nicki French – Don’t play that song again (UK Club Mix)
06 Brainstorm – My Star (Club Mix)
07 Ping Pong – Sameach (Kibbuz Dance Remix)
08 Fancy – We can move a Mountain (extended Dance Version)*
09 Hanna – Anropar Försvunnen (Hallo Hallo Remix)*
10 Olsen Bros. – Fly on the wings of love (TA2’s Extended mix)
11 Ines – Once in a lifetime (Paradise 9 Remix)
12 Anna Eriksson – Oot voimani Mun (Second Chance Remix)*
13 Knorkator – Ick Wer Zun Schwein (Anti-Schwarten-Micks)*

* Vorentscheidungsbeitrag

Agnetha, wir kommen!

Na, das ging ja flott! Die Schweden haben sich gegen die piefige Einöde Linköpings und eine mehr oder weniger marode Veranstaltungshalle in Göteborg entschieden. War also auch nicht so schwer, die richtige Wahl zu treffen.

Austragungsort des Eurovision Song Contest 2016 ist der zwar in die Jahre gekommene, aber architektonisch immer noch beeindruckende Globen in Stockholm. Prima, da wird der eurovisionaer doch glatt ESC-geschichtsbewußt und plant gedanklich sogleich für Mai kommenden Jahres einen Besuch im angeblich kleinen, aber feinen Abba-Museum ein!

Foto: CC BY-SA 3.0, Kallerna

Und jährlich grüßt das ESC-Murmeltier

Dunkle Wolken am Horizont derer, die schon in Vorfreude auf die Rückkehr ins Mutterland der Eurovision, Schweden, ihre Reservierung für Stockholm vorgenommen hatten, um auf den Spuren der ewig göttlichen Agnetha F. zu wandeln. Wie heute bekannt wurde, stehen weder die 50.000 Sitzplätze fassende Friends- noch die Tele-2-Arena für den Song Contest 2016 zur Verfügung. Wie so häufig in den vergangenen Jahren, können sich die modernsten Veranstaltungsorte Europas, zu denen beiden Arenen zweifelsfrei gehören, eine 6-wöchige Blockade einzig durch den Eurovision Song Contest nicht leisten und stehen anderen Nutzern, so zum Beispiel dem ortsansässigen Fußballverein AIK Solna, im Wort.

Und so steht in Schwedens Hauptstadt nur noch der Globen zur Verfügung, stimmungsvolle Heimstätte des ESC 2000, heutzutage mit 16.000 Sitzplätzen allerdings als viel zu piefig wahrgenommen. Wenig reizvolle Alternativen bieten das etwas in die Jahre gekommene Scandinavium in Göteburg mit einer Kapazität von ca. 14.000 Plätzen oder die Saab-Arena in Linköping. Die verfügt über stattliche 11.500 Plätze, hat aber ansonsten infrastrukturell rein gar nichts zu bieten. Lachender Vierter könnte also erneut Malmö werden. Dort wurde der Wettbewerb erst 2013 ausgetragen und hinterliess seinerzeit ein mitteltiefes Loch in der Stadtkasse. Allerdings kann die Metropole am Öresund auch weiterhin mit ihrer einzigartigen Nähe zum nachbarlichen Kopenhagener Flughafen und den dortigen Hotelangeboten punkten. Laut Veranstalter, dem schwedischen TV-Sender SVT, soll die Wahl des ESC-Austragungsortes spätestens Anfang August 2015 gefallen sein.

Foto: Google Maps

Tack Sverige

friends arena

leer
Lasha Tumbai! Der 58. Eurovision Song Contest findet am 14., 16. und 18. Mai 2013 in Schweden statt.

Foto: Sweden Arena Management