Revolution in Eurovisionia

Revolution in Eurovisionia

Alles neu macht der Mai – zumindest, wenn das schwedische Fernsehen verantwortlich ist. Wie die EBU heute voller Stolz verkündet, steht uns die gewaltigste Neuerung der ESC-Geschichte bevor. Das Voting, der wahre Kult des traditionsreichen Festivals, wie Peter Urban nicht müde wird zu erklären, soll nach vierjähriger interner Diskussion komplett umgekrempelt werden.

Wie immer, wenn hinter verschlossenen Türen bis aufs Blut verhandelt wird, entsteht dabei ein Regelungetüm, dessen tatsächliche Folgen nicht so einfach zu erklären sind. Die EBU hat daher sogleich eine filmische Gebrauchsanweisung produziert, die sich fortan bitte jeder ESC-Fan mindestens einmal täglich zu Gemüte führen sollte:

Was der eurovisionaer von der nahezu perfekten Metamorphose vom Eurovision Song Contest zum Euro-Mello hält… dazu demnächst an dieser Stelle mehr.

Grafik: EBU

USFÖ – Wir sind die Dramaqueen Europas

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Hoppla, da hat sich der eurovisionaer aber gewaltig geirrt, als er die diesjährige deutsche Vorentscheidung USFÖ im Vorfeld als absehbar unspektakulär abtat… Weit gefehlt, zum Tausch erlebten wir hautnah den Gipfel deutscher Live-Fernsehunterhaltung, der fortan wohl in keinem ESC-Rückblck fehlen darf.

„Ich bin ein kleiner Sänger“ sprach der Sieger Andreas Kümmert, lehnte das gerade gewonnene Wienticket ab und entschwand von der Bühne. Mehr Drama ging kaum und selbst die forsche Barbara Schöneberger war einen Moment lang sprachlos, bevor sie aus Mangel an Alternativen mal eben die Zweitplatzierte Ann Sophie beauftragte, im Mai in die österreichische Hauptstadt zu reisen.

Und jetzt haben wir den Salat! Denn deutlicher konnte man uns wohl gestern nicht vor die Nase halten, was passiert, wenn der NDR mit den Major Labels kungelt und ihnen zur Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens eine Wildcard auf den Hals hetzt. USFÖ stellte von Anfang an ein Format dar, das nur unterschwellig auf die Suche nach einem passenden Beitrag für den Eurovision Song Contest ausgerichtet war. Mit Sängern, die sich zwei Songs so nebenbei aus dem aktuellen Album pulen oder Songwritern, die erst einmal überzeugt werden müssen, einen Titel für den Wettbewerb freizugeben. Mit jungen Radiowellen, die Beiträge aussuchen, die sie niemals im laufenden Programm spielen werden und Managern respektive Plattenfirmen, bei denen der Verkauf von Tonträgern und Konzerttickets an erster Stelle steht.

Wie folgerichtig, dass nach allem Hin und Her ausgerechnet die Sängerin (welche übrigens am allerwenigsten an dem ganzen Schlamassel schuld ist) schlussendlich zum ESC geschickt wird, die sich wohl als Einzige aus freien Stücken um die Eintrittskarte in den Schlagerzirkus beworben hatte. Mit diesem peinlichen Abschluss hat der NDR der fortan als „zweite Wahl“ stigmatisierten Sängerin Ann Sophie, aber auch dem deutschen Song Contest einen Bärendienst erwiesen. „Ihr seid das neue Weißrussland!“ spotten die internationalen ESC-Anhänger und für diejenigen, die den heimischen wie auch internationalen Wettbewerb schon immer affig fanden, schaufelte das gestrige Chaos nur Wasser auf die Mühlen.

Wie albern das komplizierte, sich über drei Runden erstreckende Wertungssystem  tatsächlich ist, hat Kümmerts Rückzug nachdrücklich aufgezeigt, denn es gab von Beginn der Sendung an keine Chance für einen weiteren Nachrücker. So blieb der messerscharf denkenden Frau Schöneberger – ohne Kontakt zur Regie – in der Tat nichts anderes übrig, als die verdutzte Ann Sophie spontan zur Gewinnerin zu küren. Vorschlag: Schenken wir uns doch fortan das ganze Showspektakel und fragen wir die Babsi im nächsten März einfach direkt, wen sie sich dann so ausgeguckt hat.

Sicher, schon die alte Zarah wusste: Davon geht die Welt nicht unter – schließlich haben wir keine Eurovisionsregierung für die nächsten vier Jahre gewählt, die dann doch Schiss kriegt und sofort wieder abtritt. Ärgerlich ist es aber schon, wenn Verantwortliche des NDR gleich nach der Sendung noch von einer grandiosen Show reden, keiner das Wort Wettbewerbsverzerrung in den Mund zu nimmt oder die angeblich 78% Kümmert-Televoter erwähnt, die ihr Geld für Nüsse ins Nirwana verschickt haben.

Noch ein paar abschließende Gedanken zu Andreas Kümmert. Ohne mit dessen Werk und Vita ins letzte Detail vertraut zu sein, fragt sich der eurovisionaer, wie es einem ehemaligen Castingshow-Sieger erst in den letzten Sekunden dämmern kann, was möglicherweise nach einem Vorentscheidungssieg auf ihn zukommen könnte.

Statt dessen wird er nun als labiler Künstler dargestellt, der Respekt für seine persönliche Entscheidung verdient. Bei allem Verständnis – wo war denn sein Respekt und seine Fairness gegenüber den anderen Mitbewerbern, insbesondere gegenüber Frau Feser und den Damen Laing, die vielleicht auch ganz gerne Finalluft geschnuppert hätten? Und ist es zynisch festzustellen, dass sein Song zwischenzeitlich das avisierte Marketingziel erreicht hat, wenn er auf Rang 5 der tagesaktuellen Verkaufscharts steht?

Nein, da geht dem Hausherrn der Hut hoch und er gibt in diesem Fall ganz freimütig und gerne den kleinkarierten ESC-Fan, dem mal wieder nichts recht zu machen ist. Dabei hatte er sich einfach nur auf einen halbwegs unterhaltsamen Fernsehabend mit Bier und Mettbrötchen gefreut…

Grafik: Flickr / deiby (Blurred)

Ene mene muh – wie wertet eine ESC-Jury?

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Kaum hat Deutschland Conchita Wurst in sein großes Herz geschlossen, schwappt auch schon Empörung durchs Volk und die heimischen Medien mischen munter mit. Quell des Genörgels: die deutsche Jury bestehend aus Sido, Madeline Juno, Andreas Bourani, Konrad Sommermeyer und Jennifer Weist. Sie hätte im Ernstfall – wenn’s nur nach ihr gegangen wäre – der Alpendiva vergangenen Samstag keine Punkte zuteil werden lassen! Skandalös? Okay, offensichtlich verfügte die Kommission über einen anderen Geschmack als die Zuschauer, kann ja mal passieren und sollte respektiert werden. Schließlich ist es Sinn und Zweck eines solchen Gremiums, eine auf Fachkompetenz basierende Beurteilung quasi als Komplementär dem Willen der Allgemeinheit entgegenzusetzen. Seitdem die EBU jedoch in diesem Jahr erstmals alle detaillierten Bewertungen veröffentlicht hat, sind Nachfragen nicht nur gegenüber dem NDR-Ausschuss angebracht.

Wie setzt sich überhaupt eine solche Jury zusammen? Laut EBU sollen es Musikschaffende sein, also sind Sänger, Komponisten, Texter oder gar DJs erwünscht, nicht aber Journalisten oder Wissenschaftler. Die Jurymitglieder bewerten folglich ihre eigene Zunft. Dennoch, der NDR hat regelkonform besetzt, lediglich über eine fehlende Stilrichtungsbandbreite innerhalb der fünfköpfigen Gruppe mag man streiten.

Nach welchen Kriterien wird gewertet? Das weiß außerhalb der EBU niemand. In ihren Regularien bezieht sie sich auf ein so genanntes „Green Document“, das sich die Juroren zu Gemüte führen müssen, dessen Inhalt der interessierten Allgemeinheit jedoch verwehrt bleibt. Vermutlich aber gibt es dort klare Anweisungen, zum Beispiel Diaspora-Votingerfolge zu verhindern. Beleg hierfür: das belgische Voting für Armenien. Im Juryranking auf Rang 25, bei den Anrufern auf Platz 1; das ergibt in der Summe Null Punkte für den Kaukasusstaat. Ähnlich werden die Griechen und Russen – nicht erst seit diesem Jahr – herunter gewertet, insbesondere seitdem die Jurys ein komplettes Ranking von Platz 1 bis 26 erstellen, der Televoter aber natürlich nicht. Machen sich die Juroren damit nicht zum Instrument einer hinter verschlossenen Türen ausgeklügelten Wahlfälscherei?

Werden überhaupt konkret musikalische Kriterien als Bezugsrahmen benannt, nach dem bewertet werden soll? Nein, es geht nicht um besonders pfiffige Texte oder ausgeklügelte Kompositionen, andernfalls hätte die deutsche Jury wohl kaum das relativ nichtssagende Liedchen „Cliché Love Song“ aus Dänemark kollektiv (!) auf Platz eins gesetzt. Oder gar Ralph Siegels Möchtegern-Opus „Maybe“ nahezu einstimmig auf den letzten Platz verbannt, was belegt, dass hier persönliche Vorlieben wohl eher den Ausschlag geben. In der Konsequenz zählt also der Geschmack von fünf Szeneyoungstern ebenso viel wie der von Millionen von Televotern.

Dürfen sich die Preisrichter untereinander abstimmen? Vergleicht man die Wertungen aller Nationen, fällt häufig (nicht nur bei der deutschen Vorliebe für dänischen Schlager) eine seltsame Einstimmigkeit im Ergebnis auf. Nichts mit kontroversen Diskussionen der Experten, das Votingsheet dabei lautstark argumentierend in die Luft fuchtelnd. Geheim sind die Entscheidungen daher offensichtlich nicht, wenngleich die EBU Unabhängigkeit einfordert – was auch immer das in dem Kontext bedeutet. Aber Achtung! Man darf das System der Schieberei nicht überreizen, siehe Georgien, wo das Gremium ein identisches Ranking für Platz eins bis acht auf den Tisch legte. Ein Ergebnis, das von dem EBU-Schiedsrichter Ola Sand umgehend annulliert wurde, was wiederum für Aufsehen sorgte. Etwas cleverer war dagegen der Jurytrupp aus Aserbaidschan, der lediglich seine Abneigung gegen armenischen Dubstep und sein Faible für russische Popschlager kund tat – einhellig! Ähnliche Beispiele finden sich auch in den Entscheidungen aus Armenien, Belarus oder Moldau und und und, die die Idee eines fairen Wettbewerbs ad absurdum führen.

Und zu welchem Zeitpunkt werten eigentlich die Jurys? Am Freitagabend. Für sie wurde die Generalprobe in Jury Finale umbenannt. Allerdings wird diese nicht im Fernsehen übertragen. Der gemeine Televoter darf bekanntermaßen erst am Samstag ran. Also ist das ESC-Herzstück, das kultige Voting, ein von der EBU raffiniert gemixter Obstsalat, für dessen Rezept 50% Äpfel und 50% Birnen benötigt werden. Denn, hat beispielsweise die osteuropäische Diva mal einen schlechten Probenabend, reiben sich einen Tag später die Televoter verwundert die Augen, wenn sie erfahren, dass die Jury ihren Liebling gnadenlos abgestraft hat.

Es war also so einiges faul letzten Samstag im Staate Dänemark, auch wenn die EBU nach den jüngsten Televotingmanipulationsvorwürfen stolz ihre neue Transparenz propagiert. Interessant auch, dass der ganze Juryaufwand eigentlich gar nicht nötig wäre, denn die kaiserliche Wurst hätte selbst im reinen Televoting gewonnen, sogar weitaus überlegener. Also, liebe EBU, erspare uns und unseren C-Promis den Ärger um skandalöse Expertenentscheidungen und fahre eine ganz einfache Schiene: maximal drei Zuschauerstimmen je Telefonanschluss und der böse Diaspora-Ostblock-Spuk hat ein Ende.


Äpfel und Birnen

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Bereits vor einigen Tagen hat die EBU – wohl auch, um den Dampf aus der von vielen Ländern monierten Punktevergabe zu nehmen – stolz die gesplitteten Ergebnisse des 2013-er Contest veröffentlicht. Erstaunlich, denn so schnell war man in der Genfer Zentrale noch nie! Fans des Wettbewerbs lieben Statistiken und versuchen seit der Wiedereinführung der Jurys als Korrektiv des angeblichen Diaspora- und Nachbarschaftsvotings im Jahr 2009 aus den jeweils separierten Wertungstabellen abzulesen, welche unterschiedlichen Vorlieben Zuschauer und Juroren an den Tag legen (und welche Konsequenzen das auf das Endergebnis hat).

Doch anders als bisher wurde 2013 erstmals ein Ranking erstellt, das alle 26 Finalbeiträge in eine Reihenfolge setzte, welche wiederum erst später in die allseits bekannte Punkteskala 1-12 umgerechnet wurde. Ob nun ein Jurymitglied allen Ernstes begründen kann, warum er oder sie ein Lied auf Platz 18 statt auf 23 setzte, mag ernsthaft bezweifelt werden. Auch haarsträubende Wertungsabsurditäten wie z.B. in Italien, wo Rumänien im Televoting zwar gewann, im Finale jedoch nur einen Punkt erhielt und dementsprechend offensichtlich von der Jury durchgereicht wurde, nähren den Verdacht, dass das neue System nicht so ausgewogen ist, wie es vorgibt zu sein.

Das nun publizierte Splitvoting bezieht sich daher auch nur auf die Gesamtrankings beider Sparten (Zuschauer und Preisrichter) und gibt folglich so gut wie überhaupt keinen Aufschluss darüber, wie die Nationen im Einzelnen abgeschnitten haben. Die totale Vernebelung der Ergebnisse ist wohl mittlerweile auch Sinn und Zweck jeder neuen EBU-Regel, folglich hätte sie sich die Pseudo-Transparenz mit der Herausgabe dieser Abrechnung ebenso schenken können.

Foto: pixabay

Das war’s

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Bereits am Morgen nach dem großen Finale verabschiedet sich Malmö vom Eurovision Song Contest, indem es eiligst alle WE-ARE-ONE-Flaggen einfährt und stolz per Banner auf das nächste Großereignis der Stadt hinweist. Die Ausstellung „24 Spaces“ für nicht-kommerzielle Kunstaktionen (ist das nicht ein Pleonasmus?) trägt den Untertitel „A Cacophony“.  Treffender als mit dieser Losung hätte das diesjährige europäische Wettsingen kaum ausklingen können…

Lag es daran, dass die Schweden nicht nur vieles anders, sondern auch alles besser machen wollten? Einiges hat funktioniert, wie zum Beispiel die Einbindung der Fans, indem SVT sie auf den aus der Not geborenen Stehplätzen zur lebendigen Kulisse werden ließ, die den wunderbaren Catwalk umrahmte. Und den abzuschreiten offensichtlich jeder Künstler vertraglich verpflichtet wurde… Auch die so genannten Postcards – die Filme, die während des Bühnenumbaus zwischen den Auftritten eingespielt werden – waren eine Wohltat, da sie anders als noch in Baku ganz untouristisch und nichtnationalistisch daher kamen und den Fokus auf die Künstler legten.

Doch sonst? Das pompöse und endlos lange Opening mit dem jeweils von Fahnenträgern angeführten Einmarsch der Nationen zur eigens komponierten feierlichen Hymne? Die Eurovision wird endlich zur Gesangsolympiade! Das aber heizt den stets latent vorhandenen Nationalstolz einiger Länder erst recht an und steht im krassen Gegensatz zum angeblich unpolitischen Selbstverständnis der Veranstaltung. Die Moderatorin? Erstmals seit Jahren war sie wieder alleinig für den gesamten Abend verantwortlich. Schwierig jedoch, wenn man sich dann gerade mit ihr als Gastgeberin nicht so richtig anfreunden kann. Die Bühne? Unspektakulär reiht sie sich in die der Vorjahre ein. Ob nun 2013 Projektoren statt LEDs eingesetzt werden, erschließt sich dem unbedarften Zuschauer nicht wirklich. Die Beiträge? Nun gut, dafür können die Schweden bis auf eine Ausnahme nichts. Die Pausenacts? Viel zu viele. Darunter eine selbstverliebte 50er-Jahre Revue der Gastgeber, mit der Resteuropa wohl wenig anfangen konnte, und eine für alle Nicht-Anglomaniacs häufig unkomische Pseudo-EBU-Botschafterin. Und letztlich ein chaotisches Voting, dem wohl nicht nur die oft zitierte finnische Hausfrau nicht immer folgen konnte.

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Schade. Eigentlich mag ich den Song Contest sehr. Und gerade von den eurovisionsverrückten Schweden hatte ich – sagen wir mal – mehr Impulse erwartet. Doch anders als beim geerdeten Rudelgucken in der Malmöer Innenstadt macht das Zuschauen am Fernseher keinen rechten Spaß mehr. Seelenlos ist vielleicht die passendste Beschreibung der 2013-er Ausgabe. Mehr oder weniger routiniert haben die Skandinavier ihre Hausaufgabe heruntergespult und verschämt am nächsten Tag weggeräumt.

Die in diesem Jahr erstmals angewendete selbstgebastelte Startreihenfolge, die 2009 geschehene Wiedereinführung und der seitdem alljährlich wachsende Einfluß der Jurys sowie die immer mehr dem gleichen Muster folgenden Musikbeiträge sind nur einige Beispiele für ein stetig geglättetes und kommerzialisiertes Format, bei dem Marktanteile und Profit, weniger jedoch Experimentierfreude und (skurrile) Eigenart im Vordergrund stehen. Insofern haben die EBU und Schweden als Gastgeber alles richtig gemacht. Und ich träume weiter.

Fotos: eurovisionaer


Mal wieder durchgemogelt?

AZBAzerbaijan – twelve Points! Das haben wir vergangenen Samstag zehnmal gehört. Abgesehen von den üblichen Verdächtigen Russland und Georgien kamen sie ebenso wieder aus Bulgarien, Malta und Litauen. Insbesondere die Höchstwertung aus der baltischen Republik sorgt dieser Tage für Aufmerksamkeit, nachdem einen Abend vor dem großen Finale ein litauisches Video auftauchte, dass einen angeblichen Deal zu Gunsten Aserbaidschans dokumentierte. Dabei sollen größere Geldbeträge denjenigen versprochen worden sein, die im Gegenzug am Samstag – und mit entsprechenden SIM-Karten versorgt – für den kauskasischen Staat anrufen.

Ähnliche Vorwürfe gab es bereits letztes Jahr, als sich Verantwortliche des zypriotischen TV-Senders CyBC wunderten, dass dem aserbaidschanischen Beitrag acht Punkte aus Zypern zuteil wurden, obschon die Jury dem Song keine Stimme gab. Eine Beeinflussung des Televotings scheint in bevölkerungsärmeren Staaten, gerade wenn diese nicht am Finale teilnehmen und daher über wenig Zuschauerresonanz verfügen, besonders erfolgversprechend zu sein. Bis heute ist nicht bekannt, ob die EBU den damaligen Fall untersuchen ließ.

Am vergangenen Sonntag, kurz nachdem das zuvor erwähnte Video publik wurde, gingen nun die Aseris selbst in die Offensive: Sie reklamieren nun ebenfalls Unstimmigkeiten beim Malmöer Voting, weil nämlich der Bruderstaat Russland am Samstag keine Punkte aus Baku erhalten hatte, obschon die Jury angeblich „eine hohe Punktezahl“ an die russische Sängerin vergeben habe. Der (für seine Nähe zur Demokratie nicht gerade bekannte) Präsident Aliyev solle nun höchtspersönlich eine erneute Stimmenauszählung vorantreiben. Zur gleichen Zeit bevölkern aserbaidschanische „Fans“ diverse Internetforen und werfen den armenischen Anhängern vor, sie hätten das Video fingiert, um dem Nachbarstaat zu schaden.

Das liest sich in der Summe wie ein gelungener Kindergeburtstag, könnte dem Wettbewerb letztlich aber erheblich schaden, zumal man westlich von Berlin nicht müde wird, alljährlich Schiebung und Nachbarschaftshilfe hinter den eigenen schlechten Platzierungen zu vermuten. Dennoch ist es erstaunlich, dass die EBU heute offiziell nochmals die Richtigkeit der aserischen Punktevergabe bestätigte und darüber hinaus die Manipulationsvorwürfe kommentierte, wo sie doch sonst derartige Meldungen einfach aussitzt:

„Sollten wir Beweise dafür finden, dass Regeln gebrochen wurden, einschließlich versuchter Power-Votings, werden wir unverzüglich das tun, wozu wir unseren Mitgliedern gegenüber verpflichtet sind: die Marke Eurovision Song Contest zu schützen.“

Ob den Worten Taten folgen, werden wir sehen. Sollte sich der Stimmenkauf jedoch bewahrheiten, ist die Lösung des Problems ganz einfach: die Aseris – und alle anderen, die es ihnen gleichtun – in hohem Bogen vor die Tür setzen!

Update: Mittlerweile nimmt die Auseinandersetzung immer skurrilere Formen an. Nun hat sich auch Weißrussland zu Wort gemeldet. Dessen Präsident Alexander Lukashenko zweifelt ebenfalls an der Rechtmäßigkeit der Ergebnisse, da sein Reich aus Russland keinen einzigen Punkt erhalten habe. Allmählich wird immer deutlicher, welche Vorstellungen einige osteuropäische Länder von einem fairen Wettbewerb tatsächlich haben. Die EBU sitzt in der Falle, wenn sie nicht schnellstens alle nationalen Wertungen veröffentlicht und das Verhältnis zwischen Televoting und Juryabstimmung transparent macht. Daran, dass der Eurovision Song Contest nicht allein munteres Wettsingen, sondern seit Jahren auch zu einer politischen Bühne verkommen ist, wird das jedoch nichts ändern.

Grafik: eurovisionaer

Hör wieder Radio

Radio flickr fod tzellosAb morgen, 07. Februar 2013, können Hörerinnen und Hörer diverser „junger Wellen“ mitbestimmen, wer für Deutschland zum ESC fahren soll. Eine Woche lang stehen die – den Eurovisionsnerds längst bekannten – zwölf Acts, die für den deutschen Vorentscheid „Unser Song für Malmö“ nominiert sind, auf den Homepages der Radiosender zur Auswahl.

Das Votum der Radiohörer, das ein Drittel des Gesamt-Ergebnisses ausmacht, soll von den Moderatoren der Hörfunksender innerhalb der Fernsehsendung, die am 14.02.2013 ab 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt wird, übermittelt werden. Ein weiteres Drittel der Entscheidung ergibt das sogenannte Televoting per Telefon und SMS, wohingegen die verbleibenden 33,3 % der Stimmen während der Show von der Jury, bestehend aus Tim Bendzko, Roman Lob, Anna Loos, Mary Roos und Peter Urban, verteilt werden.

Foto: Flickr / Fod Tzellos

Divide et impera

split results 2012Vor wenigen Tagen hat sich die EBU dazu entschlossen, endlich (!) die gesplitteten Endergebnisse des 2012er Contest zu veröffentlichen, ohne damit für größere Verwunderung in der Fangemeinde zu sorgen. Ja, die göttliche Loreen hätte auch ohne Jury gewonnen. Ja, die nervtötenden Babushkis wurden von eben der gnadenlos runter gepunket. Die smarte Nina Zilli war wohl eher eine Freundin der Jury und der türkische Schwubbel-Can ein Favorit der Televoter… Und warum jetzt die ukrainische Gaitana so hoch bei den Experten bzw. der langweilige deutsche Roman so gut bei den gemeinen Zuschauern angekommen ist, möchte ich an dieser Stelle auch nicht weiter hinterfragen.

Wenig Neues also. Selbst die Täuschungsmanöver der Aseris setzen uns nicht mehr in Erstaunen. Bleibt die Frage: Brauchen wir eine Jury-Wertung, nachdem uns Peter Urban seit Ende der Neunziger die Vorzüge des demokratischen Televoting gepriesen hatte?

Ja und Nein. Dieses Jahr wäre es ja nun wirklich glimpflich ausgegangen, aber fürderhin – wer weiß? Nachdem ich lange Zeit den Juries (nicht nur wegen Evelina Sawschenko) mehr als skeptisch gegenüberstand, gewinne ich dieser Variante doch mehr und mehr Positives ab. Mittlerweile funktioniert sie ganz gut als Korrektivum, denn es gibt sie tatsächlich, die Beiträge, die von den Zuschauern auf dem ersten Ohr überhört und nicht beachtet werden bzw. die, die sich unersättlich in unsere Gehörgänge fressen wollen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob sich der Song Contest, wie in diversen Foren gepostet, überhaupt einer neutralen Bewertung unterziehen kann. Es geht nun einmal nicht um höher, schneller, weiter, sondern einzig um den Geschmack einer bestimmten Gruppe von Entscheidern. Ob diese nun einer 5- (wie bisher) oder einer 10-Personen (unsinnigerweise noch einer bestimmten Altersstruktur entsprechenden) umfassenden Wählerschaft zugehörig sind, tut da nicht viel zur Sache.

Diesem Dilemma entkommen kann man nur mit einer einzigen strikten basisdemokratischen Regel: ein Anruf – eine Stimme! Doch die EBU ist (ausnahmsweise?) mal nicht so blöd, sich diesem Diktat zu beugen, denn über die Televoter-Aktien lassen sich wunderbar Einnahmen generieren, die die maroden TV-Sender aller beteiligten Länder auf anderen Wegen nicht aufbringen wollen und können. Und in den 80ern haben wir schließlich kaum auch nicht gemeckert, dass die sturzlangweilige Corinne Hermes und nicht die zumindest damals noch fesche Carola den großen Preis abgesahnt hat….

Grafik: eurovisionaer

Das auch noch…

2012 bringt die Fans um ihre traditionelle posteurovisionäre Depression, als da täglich neue Song-Contest-Meldungen auftauchen, obschon längst nicht mehr gesungen wird. Neben der von Aserbaidschan lancierten etwas obskuren Nachricht, während der Veranstaltungswoche sei ein Terror-Anschlag verhindert worden und der Diskussion, die EBU wolle sich schärfere ethische Richtlinien verpassen (was laut Radio Liberty zwischenzeitlich aus Genf bereits wieder dementiert wurde), werden nun Vermutungen lauter, Aserbaidschan habe sich für eine gute Platzierung beim Wettsingen systematisch Punkte erkauft.

Das Thema ins Rollen gebracht hat der zypriotische TV-Sender CyBC, nachdem dessen Verantwortliche verwundert festgestellt hatten, dass sie dem Gastgeber des diesjährigen Wettbewerbs beim Finalvoting 8 Punkte haben zukommen lassen, obschon die zu 50% beteiligte nationale Jury dem Beitrag keine einzige Stimme gegeben hatte. Recherchen ergaben, dass Aserbaidschan in der Tat das Televoting auf Zypern gewonnen hatte. Dafür reichten 3500 SMS. Skeptisch macht sie jedoch der Umstand, dass keine einzige Stimme per Telefon abgegeben wurde, was zumindest den Verdacht nahe legt, dass die Aseris PR-Agenturen beauftragt hatten, das Televoting zu faken.

Vor diesem Hintergrund erscheinen auch andere hohe Wertungen an Aserbaidschan in einem anderen Licht, da sie nicht erst seit 2012 – abgesehen von den regelmäßigen Freundschaftswertungen der Türkei, Ukraine und Russlands – häufig aus bevölkerungsarmen Ländern wie Malta, San Marino oder eben Zypern, aber auch von Nationen kommen, die über ein bekanntermaßen geringes Zuschauerinteresse verfügen. Hierzu zählen beispielsweise Bulgarien, Israel und Moldau, wo eine Manipulation des Televotings daher umso leichter zu sein scheint. Passend zum Thema hat SPIEGELONLINE eine interessante Grafik veröffentlicht, die die Punkteaustausche der letzten drei Jahre sehr gut darstellt.

Natürlich hat die behäbige Tante EBU hierzu bislang nicht Stellung genommen (und wird es wahrscheinlich auch nicht tun), so dass bis auf Weiteres die Unschuldsvermutung gelten sollte. Gleichwohl stimmen uns die vier Top-5-Platzierungen Aserbaidschans innerhalb der letzten vier Jahre nunmehr doch ein wenig nachdenklich…