Geschafft!

Geschafft!

Glaubt man eurovisionären Gerüchten, sollen von der EBU ab 2013 für alle teilnehmenden Nationen Vorentscheidungen verbindlich vorgeschrieben werden. Ob das ein Segen sein wird, sei einmal dahin gestellt. Denn dieses Jahr bedienen sich auffallend viele Teilnehmer einer internen Vorauswahl, bei der Interpret und Song einfach von den TV-Funktionären bestimmt werden. Dennoch muss dieser Verzicht auf demokratische Strukturen gar nicht so schlecht sein, was Beispiele der Vergangenheit belegen (dabei denke man nicht nur an die quäkenden Vorjahressieger aus Aserbaidschan, sondern vielmehr an die geschmackvollen französischen Perlen der frühen Neunziger Jahre…).

Deutschland muss sich natürlich auch in diesem Zusammenhang als Musterknabe Europas präsentieren und hat uns über gefühlte drei Monate mit einer – obschon niemand zuvor etwas verloren hatte – daher von Beginn an überflüssigen Suche gequält, die an Körperverletzung grenzte. Eine manipulierende, weil uns totquatschende Jury hatte nichts besseres zu tun, als jeden der persönlichkeitslosen Kandidaten, der / die halbwegs einen Ton oder eine Gitarre halten konnte (hin und wieder gar gleichzeitig) über den grellgrünsten Klee zu loben, dass einem vor Mitleid wahlweise speiübel werden konnte oder die Tränen in die Augen schossen. Dass der sogenannte Präsident, der sie alle auf dem Gewissen – weil ausgewählt – hatte, dabei selbst Stefan Raab zu dessen schrecklichsten Zeiten übertraf, kann nur daran gelegen haben, dass ihm der Ausflug aus dem Fanta4-Altenheim den letzten Realitätssinn geraubt hat. Gekrönt wurde das Ganze mit der innovativen Blitztabelle, die an anderen Stellen schon ausführlichst kritisiert wurde. Mal sehen, ob sich Pro7 diesen Prototyp von perfider Abzocke patentieren lässt oder schon wie Onkel Dagobert ein Vollbad in den Millionen von abgeluchsten Teenagercents nimmt. Und selbst wenn so viel Cash in die Kasse kommt, warum zum Teufel sollte man es für sympathische Moderatoren oder eine professionelle Begleitcombo ausgeben?

Nein, an dem Konstrukt „USFB“ war alles einfach nur billig. Kurz vor Schluss ist es dann aber doch noch einmal eng geworden. Und das nicht wegen des ohnehin schon im Vorfeld ausgewuppten Kandidaten, der den Machern am besten in den Kram passte, weil der nach früheren DSDS-Erfahrungen eh keine hohen Ansprüche mehr stellte. Nein, Raab fiel es bei aller Schein-Euphorie glücklicherweise in der letzten Ausgabe dann doch noch ein: „Ogottogottogott …. Uns fehlt ja noch ein Song für Baku!“ Damit nicht auffällt, dass auch dieser längst ausgeklüngelt ist, kramten sie flugs aus der untersten Schublade noch weiteres Liedgut raus…und ach, der aussichtslosen Konkurrentin sollten ja auch noch ein paar Zeilen zusammengewurschtelt werden! Zack Zack, das wurde dann mal eben in einer Nacht- und Nebelaktion mehr oder weniger lieblos erledigt, fertig ist die Maus!

Was hätte man in Deutschland – Lena Meyer Landrut sei Dank! – alles aus der Eurovision machen können: Da man seit 2011 eh nicht mehr gewinnen musste und wollte, wäre es ein leichtes gewesen, wirklich frische oder gar bereits erfolgreiche Acts (ja…vielleicht sogar etablierte Stars!!??!) in die Entscheidung einzubinden, einen tatsächlichen Bezug zur internationalen Finalshow herzustellen (und nicht nur die Beiträge anderer Nationen in einer 1.30-MAZ zusammen zu klatschen, um sie anschließlich süffisant zu belächeln). Man hätte das angestaubteste und grausamste aller Requisiten, die Heavytones, in hohem Bogen aus dem Fenster schmeissen sollen, und endlich mal elektronische Sounds in die Auswahl einschmuggeln, der wunderbaren Sabine Heinrich über Jahre hinweg eine Lebensaufgabe geben und dem Song Contest in den nun kommenden mageren Jahren mit Spiel, Spaß und Spannung dauerhaft auf die Beine helfen können.

Die letzten Wochen war es nur Kasperletheater, wie Raab gestern in einem lichten Moment erkannt hat. Den hat der Seppl Roman (der traditionell zwar ehrlich, aber auch wenig einfältig ist) gewonnen. Kurz zuvor hat ihm der Wachtmeister Thomas D. die eigentlich schon deinstallierte Blitztabelle noch mal schnell ins Bild geschoben, denn sonst hätten die staunenden Kinder ja gar nicht gewusst, dass klammheimlich die Prinzessin Ornella dem ganzen Treiben ein böses Ende machen könnte. Aber es ist ja noch einmal gut gegangen und wir werden die nächsten drei Monate erst einmal von dem schwäbischen Geschwätz des Oberkasperls verschont. Geschafft!

 


Toute chose en son temps

Nach einer anfänglichen Phase der Sprachlosigkeit fällt es mir nun nicht schwer, den vorherigen Artikel in seiner vorerst nur angedeuteten Grauenhaftigkeit noch zu überbieten. Bereits vor einigen Wochen wurde bekannt, dass die penetrant prahlende Lys Assia das Line-Up der schweizerischen Vorentscheidung 2012 durch eine Gesangsdarbietung aufwerten wolle. Klar, dass sie für dieses frevlerische Ziel einzig Ralph Siegel anheuern konnte, der sich in einem ersten Interview gewohnt bescheiden gibt:

„Meine Musikerfreunde sind begeistert über unseren Coup. Ganz Europa ist wild auf Lys Assia. Das Lied sollte eine Art ‹My Way› werden. Ich hoffe, das ist mir gelungen.» Lys Assia ganz gerührt: «Ich habe nie damit gerechnet, noch einmal so etwas erleben zu dürfen.»

lys Assia Wikimedia clausuleOffensichtlich reichte es ihr nicht mehr, alljährlich die Eurovisionsbühne zu erklimmen, um auf ihren grandiosen Sieg anno 1956 hinzuweisen. Altersweisheit war daher schon seit längerem nicht mehr diagnostizierbar. Oder vielleicht doch?  Schließlich lagen bereits in diesem Jahr die Juries der litauischen Chanteuse Evelina zu Füßen, als jene das frankophile Musikjuwel „C’est ma vie“ intonierte. Da erscheint es clever, mit „C’était ma vie“ noch einen drauf zu setzen und die nostalgieschwangeren Juroren in den Schlaf singen zu wollen. Baku 2012? Wenn das so weiter geht und – bewahre! – Madame tatsächlich entsendet werden sollte, erleben wir eher eine Zeitreise Richtung Cannes 1959.

Doch nicht alle sorgen sich um eine eurovisionäre Freakshow, wenn ich den Stimmen einiger ungenannter linientreuer Altkommunisten Fans Glauben schenken darf:

„Dass Assia und Siegel zusammenspannen, wird vor allem Stefan Raab ärgern», schreibt ein User. «Der Song klingt überraschend gut», lobt ein anderer. Die Ballade wird sogar mit dem Ohrwurm von Raphael Gualazzi (29) verglichen, der am ESC dieses Jahr den zweiten Platz erreichte. «Dieses schöne Lied hat so viel Chancen wie Italien», ist sich ein Fan sicher.“

Ist eigentlich Margot Hielscher samt ihrer Schellackplattensammlung beim offenen Casting zu „Unser Star für Baku“ schon gesichtet worden?

Gute Nacht, Europa

Foto: Wikimedia / Clausule

Es is der da…

thomas d flickr teliko82Das Grundkonzept zur deutschen Vorentscheidung 2012 steht. Trotz des Abgangs von Stefan Raab wird ähnlich wie im ersten Durchlauf 2010, in dem Das Erste, ProSieben sowie diverse Radiosender Lena Meyer-Landrut suchten und fanden, nun „Unser Star für Baku“ gecastet.

Neuer Jury-Präsident wird Thomas D, der mit seiner Band „Die Fantastischen Vier“ und als Solokünstler zahlreiche Musikpreise, u. a. fünf Mal den „Echo“, erhalten hat. Er wird wie Raab in den Vorjahren als über allem schwebender Jury-Präsident und inhaltlich verantwortlicher Musik-Produzent das Jury-Team leiten. Und er nimmt ganz offensichtlich seine Sache ernst:

Präsident wollte ich schon immer werden! Bei diesem musikalischen Groß-Projekt mit dabei zu sein ist eine fantastische Aufgabe, auf die ich mich sehr freue und die ich sehr ernst nehme. Außerdem sehe ich besser aus als Stefan Raab.

Dann kann ja nix mehr schief gehen… Ob das Castingformat erneut den erwünschten Erfolg beim Song-Contest einfahren wird, oder die Teilnahme von „Ich bin Lena, ich bin 18 und ich komme aus Hannover“ sich doch auf lange Sicht als einzigartiger Glücksfall erweisen wird, soll sich dann zeigen. Aber so lange sich hierzulande national erfolgreiche Acts – anders als in vielen osteuropäischen Teilnehmerstaaten – dem Wettbewerb weiterhin verweigern, bleibt uns wohl nichts anderes übrig.

Wer also mal ein Star in Aserbaidschan werden will, kann sich ab sofort bewerben: Anmeldeformulare für die Castings in Köln können im Internet auf www.eurovision.de und www.tvtotal.de aufgerufen werden.

Foto: Flickr / Teliko82