Finale: 30. April 1988
Siegerland: Schweiz
Siegertitel: Ne partez pas sans moi / Celine Dion
Teilnehmer: 21 Länder
Voting: 100% Jury
Moderation: Michelle Rocca & Pat Kenny
TV-Zuschauer Dt.: 8,69 Mio
Deutscher Beitrag: Lied für einen Freund / Maxi & Chris Garden
Dem Alter, harmonische Fernsehabende unbedingt auf der elterlichen Couch verbringen zu müssen, lange entwachsen, deutete sich 1988 so etwas wie ein … ähem, Paradigmenwechsel an, hätte mal ein Wissenschaftler die eurovisionären Gewohnheiten des Hausbloggers untersucht. Denn in jenem Jahr wurde die ESC-Party geboren! Nun gut, noch in einem sehr kleinen, überschaubaren studentischen Kreis, jedoch mit ersten Ingredienzien wie z.B. der wandernden Kommentarliste, viel Alkohol und einer Aftershowparty, die bis in die frühen Morgenstunden reichen sollte. Sie alle wurden im Laufe der folgenden Jahre zu elementaren Bestandteilen dieser rituellen Zusammenkünfte, wenngleich die 89-er Ausgabe wegen Liebesschmerz anhaltendem Hangover schon wieder ausfiel und in den Geschichtsbüchern der Nichtigkeiten erst 1990 als das offizielle Geburtsjahr dieser hedonistischen Tradition gelistet wird.
Aber bleiben wir beim 30. April 1988. Deutschland hatte sich wenige Wochen zuvor für ein hochnotpeinliches Mutter-Tochter-Gespann entschieden, das unbegreiflicherweise am Finaltag von den schmerzfreien britischen Buchmachern gar auf Rang drei gewettet wurde. “Lied für einen Freund” war in sträflicher Manier das genaue Gegenteil von einem aktuellen Popsong (die Pet Shop Boys führten gerade mit “Heart” die BBC-Charts an), schmalzig, schräg und mit unerträglichem Hundeblick vorgetragen. Mehrheitlich interessierte das in Europa – aber selbst im eigenen Land – niemanden, also galt es, eigene Favoriten auszumachen. Dem Himmel sei Dank hatten die Ur-eurovisionaere ganz weitsichtig auf den Original-Fernsehton, über den die leibhaftige Nicole einen nöligen Kommentar absonderte, verzichtet und das TV-Bild mit der hippen BFBS-Live-Radioübertragung verkoppelt. Das garantierte zwar unter technischen Aspekten betrachtet ein optimales Stereoerlebnis, musikalisch rangierte jedoch vieles, was Europa uns da vorsetzte, auf einem ähnlich unterirdischen Level wie der bereits erwähnte deutsche Beitrag. Natürlich gab es Ausnahmen, immer dann, wenn ausgelutschte Eurovisionssongmuster gebrochen wurden: Irland, das als Vorjahressieger ja nicht mehr gewinnen musste, stellte mit “Take him home” ein Ballade epischen Ausmaßes vor; Norwegens “For vår jord” war ähnlich stimmungsvoll, ohne abgestanden sülzig zu wirken.
Damals schwappte übrigens populärkulturell so etwas wie eine erste Ethnowelle durch die Republik. Des eurovisionaers liebe Freundin Fräulein T., die gerade aus unerfindlichen Gründen einen studienfachübergreifenden Kurs “Türkisch am Krankenbett” besucht hatte, favorisierte daher den Beitrag “Sufi” aus Ankara – aus heutiger Sicht allerdings noch Lichtjahre von der Qualität begeisternder landestypischer Popfolklore entfernt. Traditionalisten erfreute das israelische “Ben Adam”, das jedoch ebenfalls an ein stimmungsvolles “Hallelujah” nicht heranreichte. Richtig in Wallung geriet die Feierrunde eigentlich nur bei der britischen Einsendung “Go”. Miss H., eine liebe angelsächsische Brieffreundin und ebenso eurovisionsaffin wie der Verfasser dieser Zeilen, hatte ihm die Single wenige Wochen zuvor auf dem Postweg zukommen lassen, seitdem lief sie im heimischen Apartment in “heavy rotation”. “Go”, im Grunde der krasse Gegenentwurf zu den damals gültigen musikalischen Vorlieben im eurovisionaeren Haushalt, griff – nicht allein des Alkohols wegen – offensichtlich eine Stimmung auf, die an jenem Abend im April von den Großeltern der heutigen ESC-Sause kollektiv an- und wahrgenommen wurde. Die Stimmbänder dermaßen geölt, hatten sich der Partychef und sein bester Freund Herr B. trotz der frühen Startnummer von Mister Fitzgerald bereits eingesungen und grölten, kurz nachdem Ronnie Hazlehurst den Taktstock geschwungen hatte, laut und textsicher mit. Der Sieger war gefunden!
Leider nur fast. Beim abschließenden Voting lag plötzlich eine Kanadierin aus der Schweiz vorne, die der Runde zuvor nur aufgrund ihrer schrecklichen Minipli / Nase / Körperhaltung aufgefallen war. Zur Erklärung: Als sie sang, wurde die BFBS-Übertragung unterbrochen, da eindringlich nach einem Sergeant Smith oder so ähnlich gefahndet wurde. Bis heute ist nicht aufgeklärt, was der Kerl eigentlich angestellt hatte, aber dem britischen Soldatenfunk war die Meldung anno dazumal nahezu drei Minuten Sendezeit wert. Von “Ne partez pas sans moi” war also nix zu hören und folgerichtig wunderten sich die Ur-eurovisionaere, dass ausgerechnet diese schäbige Frau dem favorisierten Scott gefährlich werden sollte. Tja, und wenn die ESC-Wertung Kult ist, wie Peter Urban heutzutage nicht müde wird zu sagen, dann gilt das sicherlich für das 88-er Voting. In der letzten Punktevergabe erhielt die nordamerikanische Schweizerin schlappe sechs “Votes”, womit sie nur einen Punkt vor dem United Kingdom lag. Das is geritzt, der Scott räumt jetzt die famosen “douze Points” ab, dachte die hiesige Partygemeinde – und er wohl auch. Doch Pustekuchen! Die einzig noch wertenden Jugoslawen machten damals schon auf Diva und ließen “Go” komplett leer ausgehen. Schockschwerenot – darauf nahmen die Ur-eurovisionaere allesamt einen großen Schluck, lauschten angewidert dem nochmals vorgetragenen Siegertitel der erst Ewigkeiten später weltbekannten Eidgenossin mit Migrationshintergrund und schmissen schnell den Schallplattenspieler an, um todtraurig und zum Leidwesen der Nachbarn für den Rest der Nacht “Go before you break my heart once more” zu schmettern…
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